Die Somnambule

Seltsames Wort. So — Somnambule — hießen früher Frauen, die in Trance oder Hypnose waren und dabei die Zukunft sahen oder unerhörte Dinge verrichten konnten. Unerhört sind ja jene Reisen des Bewusstseins, während der Körper schläft, womit ich nicht Träume meine, sondern Astralreisen. Das können vielleicht mehr Leute, als man meint, und nach Franz Werfel und seinem dicken Buch kommt heute Marie Luise Kaschnitz dran.

Ihren Beitrag dazu kann man leicht überlesen; er steht in ihrem Erinnerungsbuch Tage, Tage, Jahre (1968), und an einem 12. August hat sie die Drei Somnambulengeschichten aufs Papier gebracht, darum unser Veröffentlichungsdatum. Die Kaschnitz kam 1901 in Karlsruhe zur Welt und wuchs in Bollschweil auf, einem Dorf oberhalb der Rheinebene, vom manipogo-Stützpunkt 12 Kilometer entfernt. Da liegt auch ihr Grab, nachdem sie 1974 in Rom gestorben war, wo sie viele Jahre verlebte. So führt uns die Autorin zu ihren Erlebnissen hin:

DSCN4876Das Bewusstsein vom Körper lösen, sich also zweiteilen und den einen Teil au Wanderschaft gehen lassen, ds ist eine aus dem Brauchtum afrikanischer Negerstämme bekannte Fähigkeit, die indes auch wir, wenn auch in abgeschwächtem Maße, zu besitzen scheinen. Ich jedenfalls versetze mich im Halbschlaf und zwar sowohl spät nachts wie morgens früh an gewisse andere Orte, die nur in einzelnen Zügen meiner Erinnerung, größtenteils aber meiner Phantasie entstammen. Um mich von meinem Bett, aus meinem Zimmer zu lösen, muss ich mit den Fingern meiner Hand zweimal dieselbe rasche Bewegung ausführen, eine Art von Flügelschlag, auf den hin ich mich dann wirklich körperlich, aber vogelleicht, durch den nächtlichen Himmel bewege.

Dass diese Orte ihrer Phantasie entstammen, ist eine Annahme. Es könnte auch ein Ort aus einem früheren Leben sein oder ein ganz realer Ort in der Zukunft (wie bei Werfel). Marie Luise Kaschnitz lässt keinen Zweifel daran, dass sie wirklich fliegt, also wird sie wohl auch einen wirklichen Ort mit dem Astralleib aufgesucht haben, und was wissen wir schon von möglichen wirklichen Orten? Frau Kaschnitz schreibt, es seien solche,

in denen ich, kaum angekommen, meine eigene Gestalt wieder annehme, um für einige kurze, aber auf zauberhafte Weise zu Stunden ausgedehnte Minuten ein fremdes Leben zu führen.

DSCN4498Die Empirie unterstützt das: keine Zeit dort, unsere Sekunden können Wochen dauern. Anscheinend erlebte sie manche Geschichten mehrmals, sie kennt sie. Einer ihrer Orte ist ein Gutshof oberhalb der römischen Campagna. Sie frühstückt und sieht durch ein offenes Fenster das Meer. Im Garten wird sie von Waisenkindern begrüßt, die mit Nonnen unterwegs sind. In einem Haus, einem von ihr eingerichteten Ambulatorium, verarztet sie Kinder, wird zum Engel der Kranken, wonach die Reisende in einer Grotte eine elektrische Eisenbahn besteigt, die sie durch einen Tunnel ans Meer bringt. Sie schwimmt, und ein Wächter passt auf sie auf. Ihr selber fällt auf, dass es keine Bekannten oder Familienangehörige gbt, sondern nur Fremde, vor allem alte Leute und Kinder.

Die zweite und dritte Episode der Somnambulen-Geschichte dann morgen.

 

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