Das verbotene Wesen

Als die Taliban am 27. September 1996 Kabul überrannten, war dies der Anfang einer Unterdrückung sondergleichen, die die Frauen Afghanistans voll traf. Sie sollten von der Straße verschwinden, wurden entsexualisiert und eingeschüchtert. Fünf Jahre später machten die Amerikaner ihrem Regime ein Ende. Etwas aus jener Zeit erfährt man in dem Buch Das verbotene Gesicht von Latifa, 2001 erschienen.

Radio Scharia verkündete bald nach der Machtübernahme durch die Taliban folgende Dekrete, die die Frauen betrafen:

Mädchen und Frauen dürfen nicht mehr außer Haus arbeiten
Alle Frauen, die gezwungen sind, sich außerhalb ihrer Wohnung zu bewegen, müssen von einem Marham begleitet werden, das heißt ihrem Vater, Bruder oder Ehemann
Die öffentlichen Verkehrsbetriebe stellen getrennte Busse für Frauen und Männer bereit
Frauen und Mädchen haben die Burka anzulegen
Ihnen ist untersagt, unter dem Schleier Kleidungsstücke in lebhaften Farben zu tragen
Es ist verboten, Nagellack oder Lippenstift zu benutzen oder sich das Gesicht zu schminken
Eine Frau darf kein Taxi nehmen, wenn sie nicht von einem Marham begleitet wird
Kein Arzt hat das Recht, unter dem Vorwand einer Untersuchung den Körper einer Frau zu berühren
Eine Frau darf keinen Herrenschneider aufsuchen
Junge Mädchen dürfen sich nicht mit jungen Männern unterhalten. Bei Zuwiderhandlung werden die Missetäter sogleich verheiratet
Verlobten Frauen ist es verboten, Schönheitssalons aufzusuchen, auch nicht anlässlich von Hochzeitsvorbereitungen

Wenn die Polizei einen Zuwiderhandelnden bestraft, hat niemand das Recht, Fragen zu stellen oder Kritik zu üben
Verstöße gegen die Gebote der Scharia ziehen eine öffentliche Bestrafung nach sich.

Timbuktu_02Das war Terror. Ein neues Ministerium wurde geschaffen »für die Unterdrückung des Lasters und die Förderung der Tugend«. Patrouillen von Taliban in ihren weißen Hosen streiften durch die Stadt und schlugen mit ihren Peitschen zu, an deren Ende eine Bleikugel eingearbeitet war. 1980 waren die Sowjet einmarschiert, die 1989 wieder abzogen, dann wütete Hekmatjar und seine Leute ein paar Jahre, und dann noch die Taliban, die aus Pakistan kamen und auch durch Saudi-Arabien unterstützt wurden, zwei besonders schlimme Länder.

nonne2015 wurde bei manipogo der Film Timbuktu besprochen (Bild oben links), der zeigt, wie der religiöse Fundamentalismus über ein Dorf hereinbricht und Frauen terrorisiert. Sie bedrohen anscheinend die Ordnung, denn sie können männliche Herzen (und andere Organe) in Unordnung bringen. Die Macht gehörte immer den Männern, und sie sorgten für Ordnung. Der Faschismus wies den Frauen Küche und Kirche zu, die katholische Kirche verurteilte sie zum Zuschauen und ignorierte sie weitgehend, nur der Kommunismus — als dogmatische »Erlöserreligion« der Kirche verwandt — akzeptierte sie, nachdem er die Frauen als Arbeiterinnen und Parteigenossinnen eingegliedert und somit entsexualisiert hatte. (Bild: Nonne in Rom)

Der arabische Publizist Kamel Daoud schrieb 2016:

Sex gilt in Ländern wie Algerien, Tunesien, Syrien und dem Jemen als komplexes Tabuthema. Die Tabuisierung ergibt sich aus der konservativen und patriarchalischen Kultur, den neuen ultrastrengen Regeln der Islamisten und einem diskreten Puritanismus der verschiedenen Sozialismen dieser Region.(…) Man verhält sich, als würde Sex nicht existieren, und doch determiniert er alles Unausgesprochene. Geleugnet liegt die Verheimlichung schwer auf der Seele. Auch wenn Frauen verschleiert sind, sie sind das Zentrum unserer Verbindungen, Austauschbeziehungen und Sorgen. (…) Würde man(n) Frauen erlauben, ohne Bedeckung in die Öffentlichkeit zu treten, dann würde die unterdrückte und verleugnete Begierde der Islamisten, der Konservativen und der alleinstehenden jungen Männer enthüllt werden. Frauen werden als Quelle der Destabilisierung angesehen – manche behaupten, ein kurzer Rock löst Erdbeben aus – und werden nur als Eigentum, also als Frau von X oder Tochter von Y respektiert. Diese Widersprüche bilden unerträgliche Spannungen. Begierde hat kein Ventil und kein Ergebnis.

 

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