Ein Sufi und der Wein

Hatte ich nicht einmal über geistige Getränke geschrieben? Ja, vor sechs Jahren Ende April. Seither werden 2000 Liter Bier in mich hineingeflossen sein, aber trinken muss man, und Bier (seit 7000 Jahren verbürgt) ist als Augustiner Hell das manipogo-Benzin. Doch der Wein hat mehr Ansehen als geistiges Getränk, wenngleich weniger Prozente als Schnaps. Wein wird aus dem Weinstock mit seinen Reben gewonnen, und auch ich vergesse leicht, dass der Gutedel, an dem ich mich labe, von dem Hügel herstammt, auf den ich vom Balkon schaue. Heute: eine Hymne an den Wein von einem Sufi-Meister.

Sufis sind orientalische Mystiker, und Sa’d Ud Din Mahmud Shabistari war ein persischer Sufi. Man weiß von ihm aber nur, dass er im Jahr 1250 bei Täbris in Persien zur Welt kam und das Buch Der geheime Rosengarten verfasste. Es liegt auf Englisch im Internet Sacred Text Archive vor und ich übersetze aus Kapitel VII, Die göttliche Trunkenheit. (Zum Übersetzen schenke ich mir ein Glas Muskateller ein, schön kalt.)

Der Wein der Beseligung 

Der Wein, beleuchtet von einem Strahl aus seinem Gesicht,
Wirft Blasen und verrät Form,
Wie die materielle Welt und die Seelenwelt,
die den Heiligen als Schleier erscheinen.
Die Universelle Vernunft ist bei diesem Anblick verblüfft,
die Universelle Seele zu Knechtschaft reduziert.

Trink Wein! Denn die Schale ist das Gesicht des Freundes.
Trink Wein! Denn der Becher ist sein Auge, trunken und überfließend von Wein.
Trink Wein! Und sei frei von der Kälte des Herzens,
denn ein Trunkenbold ist besser als ein Selbstgerechter.

Die ganze Welt ist seine Taverne,
sein Weinkelch das Herz jeden Atoms.
Die Vernunft ist betrunken, Engel betrunken, Seele betrunken,
Luft betrunken, Erde betrunken, Himmel betrunken.

(…)

Wein, Fackel und Schönheit

Die Wahrheit wird manifest in
Wein, Fackel und Schönheit;
Wein und die Fackel sind das Licht und das Leuchten des »Wissenden«,
Schönheit bleibt niemandem verborgen.
Wein ist der Lampenschirm und die Fackel die Lampe;
Schönheit ist das Geisterlicht,
so hell, sie zaubert Funken
in das Herz.
Wein und Fackel sind das Innerste dieses blendenden Lichts,
Schönheit ist das Zeichen des Göttlichen.

Trink diesen Wein, und wenn du deinem Selbst stirbst,
Wirst du befreit von dem Zauberbann des Selbst.
Dann wird dein Wesen als Tropfen
in den Ozean des Ewigen fallen.

Berauschung

Was ist reiner Wein?
Er ist Selbstreinigung.
Welche Süße! Welche Berauschung! Welch gesegnete Ekstase!

O glücklicher Augenblick, wenn wir uns selbst verlassen
und, im Staub liegend, trunken und erstaunt sind,
dass wir in äußerster Armut reich sind.
Was brauchen wir noch das Paradies und die Houris?
Denn kein Uneingeweihter findet Eingang in den mystischen Raum.

Ich weiß nicht, was danach geschehen wird,
ich habe die Vision gehabt und den Becher geleert.
Doch auf die Berauschung folgen Kopfschmerzen.
Ängste überschwemmen meine Seele, die sich daran erinnert!

 

Klingt nicht sehr poetisch, aber schon das Englische (das Original ist Persisch) ist etwas hölzern. Sufis konnten ungeheuer mutig und kraftvoll schreiben, und sie verbargen dabei dennoch vieles. Im Äußeren geht es um den Wein und das Trinken, doch der Autor zielt auf die Selbstvergessenheit, die durch den Wein nur für wenige Stunden entsteht. Sufis sind Mystiker, die in Gott aufgehen wollen — wie auch christliche Mystiker es erstrebten, Heinrich Seuse (1295 bis 1366) etwa. Dafür muss man sich von seinem Ich trennen, und das ist das echte Glück, das einem das Paradies schenkt: Ihm dienen zu dürfen, ohne einen Rest an Ich. Die Berauschung durch den Wein ist nur eine armselige Metapher für die Beseligung durch Gott.

 

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