Blüthenreicher sein

Anfang 2010 hatte ich auf der Seite Kritische Ausgabe plus ein Rätsel gestellt, das bis heute nicht gelöst ist. Man muss den Ursprungsartikel lesen, um den Hintergrund zu haben. In Kürze: Bei einer Séance in England wurde ein 8-zeiliges deutsches Gedicht auf einen Film projiziert, und man wüsste gern, von wem es ist. Justinus Kerner, dachten wir zuerst, doch ich glaube, wir irren uns. Ich glaube an Ludwig Uhland. Warum?

SDC10398Walter Schnittger war derjenige, der den Film in die Séance mitgebracht und nicht aus den Augen gelassen hatte. Und da er sehr penibel ist, können wir ihm vertrauen. Das Gedicht muss also aus dem Jenseits uns geschickt worden sein um zu zeigen, was möglich ist. Hier ist es noch einmal:

Ein alter Stamm mit tausend Aesten, Die Wurzeln in der Ewigkeit, Neigt sich von Osten hin nach Westen In mancher Bildung weit und breit. Kein Baum kann blüthenreicher werden, Und keine Frucht kann edler sein, Doch auch das »Dunkelste« auf Erden Es reift auf seinem Zweig allein.

Schnittger selber fand es dann erwähnt in der Zauber-Bibliothek von Horst 1823, und in diesem Buch steht, dieses Gedicht sei, »was ein geschätzter vaterländischer Dichter überhaupt über die Cultur schreibt«. Das Gedicht gab es also auf unserer Welt (Autoren schreiben ja nach dem Tod weiter, und wäre es ein drüben entstandenes Gedicht, könnten wir lange suchen …).

Kürzlich holte ich mir Hundert Gedichte von Ludwig Uhland (1787-1862). Er war ein Freund von Justinus Kerner und ein vaterländischer Dichter auch (damals war Deutschland zersplittert in Fürstentümer, ein einiges Deutschland war der Traum), und irgendwie erinnert das fragliche Gedicht an seinen Stil. Beim Gedicht Im Frühling kommt blütenreicher vor, und Bäume und deren Wurzeln interessieren ihn. In der Wanderung vergleicht er einen Fürstenhof mit einem

Baum, der nicht im groben
Volksboden sich genährt.
Nein einer, der nach oben
Sogar die Wurzeln kehrt!

035Die Ulme von Hirsau (ein weiteres Uhland-Gedicht) »wurzelt tief im Grunde / Vom alten Klosterbau« und »wölbt sich statt des Daches / Hinaus ins Himmelsblau«. (Links: Kloster Hirsau,2015)

Der Schwabe Uhland war ein engagierter Autor und so beliebt wie Goethe und Schiller. Er bekam sogar einen Sitz im ersten deutschen Parlament und ermahnte seine Kollegen stets mit Gedichten. Morgen sehen wir uns ein engagiertes Gedicht von ihm an. (Das mit dem Beginn Bei einem Wirte wundermild fand viel Zustimmung, der manipogo-Beitrag hatte 3100 Klicks!)

Natürlich gibt es fast alle Werke von ihm im Internet, doch wenn man sie alle durchblättern will, wird man bald gestoppt. Man solle sich identifizieren, dass man kein Computer sei, und warum das, weiß ich nicht. Die Cookie-Wirtschaft geht mir schon genug auf die Nerven. Man könnte ja nach Freiburg fahren und sich das Gesamtwerk vornehmen, aber dazu habe ich gerade keine Lust. Ich bin ziemlich sicher, dass es Uhland war und hoffe, bis zum Beweis nicht noch 10 Jahre warten zu müssen. Vielleicht findet jemand das Gedicht. Eine Kiste badischen Weins (6 Flaschen) sollte mir das schon wert sein.

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