Wie schwer es heute doch ist, Kummer loszuwerden! Angenommen, du hast Ärger in der Arbeit und schilderst den einem Freund (einer Freundin) in der Hoffnung, dich danach besser zu fühlen. Irrtum! Loswerden ist nicht; das Ding kommt wie ein Bumerang zu dir zurück, und du fühlst dich noch dazu schuldig. Wie das so ist, erkläre ich gleich.

Das ist vielleicht nur meine persönliche Erfahrung. Jedenfalls merke ich, dass die einen dir klarmachen, dass das alles ganz normal ist, verständlich sozusagen; und dass du (so der Unterton) das halt hinnehmen musst, die Welt ist so.

Das sind die Bürger, denen es nicht recht ist, wenn man negativ ist. Alles soll akzetiert werden, alles kann man verstehen. Sie wollen nichts falsch machen, daher auch die absolute correctness und die Neigung, alles wörtlich zu nehmen. Sprache jedoch ist subjektiv, ungerecht und frontal, und erst im Kontext erhält sie Sinn. Man muss sie kreativ nehmen.

Die anderen erläutern etwas dazu. Sie wissen so viel, dass sie aus irgendwelchen Blickwinkeln das Geschehen betrachten und es anreichern, und sie wollen etwas dazu sagen, irgendwas; alle wollen selbst was loswerden, das du dann schlucken musst, und wieder bist du der Dumme.

Ach! Ich wünsche mir jemanden, der zu dem, was ich erzähle, einfach nickt und vielleicht noch kummervoll seufzt. Dann hat der Partner (die Partnerin) meinen Kummer aufgenommen und ich fühle mich besser.

Doch die Leute in unseren Breiten können, scheint mir manchmal, nichts auf sich beruhen lassen. Sie können nicht einfach sagen »Ja« oder »wunderbar« oder »schlimm«. Nein, sie können nicht mehr zuhören, können nichts unkommentiert stehenlassen. Sie müssen ihren Senf dazugeben, weil sie ja so toll sind und die Welt kennen.

In der Politik ist es ja auch so. Nach den neuesten Zahlen werden die neuesten Maßnahmen geschneidert, man reagiert sofort auf neue Entwicklungen, was ja eigentlich gut ist; doch inmitten dieser Tatkraft geht die Gelassenheit verloren. Man kann auch mal ein paar Tage abwarten, ohne zu reagieren.

Wie sagte Lao-tse: Der Weise tut nichts, und nichts bleibt ungetan. Manchmal reicht es, etwas in sich aufzunehmen oder einfach liebevoll zu sein, weil es um den geht, der einen Kummer loswerden will nicht um den, der seine Klugheit anpreist.

Illustrationen: zwei Bilder von Rolf Hannes, Freiburg; das obere heißt Botschaft

Dieser Eintrag wurde am Dienstag, den 22. September 2020 um 00:30 Uhr erstellt und ist in der Kategorie Leben heute zu finden. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.