Sol und Luna

Nach zwei Beiträgen über Mond und Sonne sollen sie nun beide in einem Gedicht vorkommen, und da fiel mir eins von Heinrich Heine (1798-1856) ein, dessen Arbeiten wir in einer Woche mehr betrachten wollen. Sonnenuntergang ist ein Jugendwerk von ihm, da hat er seinen Stil noch nicht ganz gefunden; das Werk und vor allem die letzte Passage klingt arg nach Hölderlin. Aber Heine rsepektierte die Tradition: Sol, der Gott, strahlend und gebend, Yang; Luna, die Göttin, empfangend und dunkel, Yin.

Sonnenuntergang

bremgaDie glühend rote Sonne steigt
Hinab ins weitaufschauernde,
Silbergraue Weltenmeer;
Luftgebilde, rosig angehaucht,
Wallen ihr nach; und gegenüber,
Aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern,
Ein traurig todblasses Antlitz,
Bricht hervor der Mond,
Und hinter ihm, Lichtfünkchen,
Nebelweit, schimmern die Sterne.

Einst am Himmel glänzten,
Eh’lich vereint,
Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,
Und es wimmelten um sie her die Sterne,
Die kleinen, unschuldigen Kinder.

Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,
Und es trennte sich feindlich
Das hohe, leuchtende Eh’paar.

Jetzt am Tage, in einsamer Pracht,
Ergeht sich dort oben der Sonnengott,
Ob seiner Herrlichkeit
Angebetet und vielbesungen
Von stolzen, glückgehärteten Menschen.
DSCN3377Aber des Nachts,
Am Himmel, wandelt Luna,
Die arme Mutter,
Mit ihren verwaisten Sternenkindern,
Und sie glänzt in stiller Wehmut,
Und liebende Mädchen und sanfte Dichter
Weihen ihr Tränen und Lieder.

Die weiche Luna! Weiblich gesinnt,
Liebt sie noch immer den schönen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,
Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,
Und möchte ihm ängstlich rufen: »Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach dir —«

DSCN5537Aber der trotzige Sonnengott,
Bei dem Anblick der Gattin erglüht er
In doppeltem Purpur,
Vor Zorn und Schmerz,
Und unerbittlich eilt er hinab
In sein flutenkaltes Witwerbett.

*

Böse, zischelnde Zungen
Brachten also Schmerz und Verderben
Selbst über ewige Götter. Und die armen
Götter, oben am Himmel
Wandeln sie, qualvoll,
Trostlos unendliche Bahnen,
Und können nicht sterben,
Und schleppen mit sich
Ihr strahlendes Elend.

Ich aber‘ der Mensch,
Der niedriggepflanzte, der todbeglückte,
Ich klage nicht länger.

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