Flugverkehr (108): Wieland der Schmied

Verwundert las ich, dass Wieland der Schmied, der in germanischen Sagen auftritt, sich Flügel zusammenbaut und entschwebt … Über den germanischen Sagenkreis weiß ich wenig, will mich daher demnächst durch die Edda hindurcharbeiten, die es zum Glück auf Internet Sacred Text Archive gibt. Vergesst diese wunderbare Seite nicht, ein segensreiches US-amerikanisches Produkt!  

Die germanischen Sagen fußen auf den Eddas: isländischen Geschichten, die zwischen den Jahren 850 und 1300 niedergeschrieben wurden. Freilich existierten sie viel früher und erzählen auch die Erschaffung der Welt aus der Sicht der Skandinavier. Es gab diese Sagen lang vor der  Völkerwanderung, als die Germanen südwärts zogen und Italien einnahmen mit ihrer üblichen Wildheit und Berserkerhaftigkeit. Im Jahr 586 war das Reich Westrom zerstört.

service-pnp-fsac-1a34000-1a34700-1a34794rDa gibt es die Geschichte des Riesen Wadi, der von einer Meerfrau zur Welt gebracht wurde. Wadi hatte drei Söhne: Egli, der ein guter Schütze wurde; Helferich, der zum Arzt heranreifte; und Wieland, der von Wadi zu den Zwergen in die Lehre gegeben wurde, damit er das Schmiedehandwerk erlerne. Bei dem Versuch, Wieland zurückzuholen, stirbt sein Vater durch die tückischen Zwerge. Wieland holt sich deren Reichtümer und lässt sich mit seinen Brüdern im abgeschiedenen Wolfstal nieder. Und eines Tages …

Eines Tages sahen die Brüder drei Jungfrauen am Seeufer sitzen und Flachs spinnen. Es waren Walküren, kräftig und schön wie Königinnen. Ihre Schwanenhemden lagen neben ihnen im Sand. Da liefen die Brüder hin und rissen blitzschnell ihre Flügelhemden an sich.

schwannEgli holt sich Älrun, die erste, in seine Hütte, Helferich entscheidet sich für Swanwit und Wieland kriegt Alwis und verfertigt für sie den schönsten Armring, den er je gemacht hatte: als Pfand seiner Liebe. Nach sieben Jahren endet das Idyll. Die Walküren haben Heimweh, holen sich ihre Flugklamotten und fliegen ab. Es wird noch ärger: Der über die Region herrschende König Nidung findet alles Geschmeide, das Wieland in der Hoffnung hergestellt hatte, Alwis würde eines Tages zurückkommen. Der König lässt Wieland fesseln und auf den Rat der Königin verstümmeln, dass er nicht mehr laufen kann. In einer Hütte auf einer Halbinsel muss er für den König arbeiten.

Wieland sinnt auf Rache. Die beiden Kinder des Königs interessieren sich für den rußigen Schmied; er tötet sie, ohne dass es jemand erfährt. Der Tochter des Königs, Badhild, ist der wunderschöne Reif Alwis‘ zerbrochen. Wieland repariert ihn und verpflichtet sie, jede Nacht bei ihm zu bleiben als seine Frau. Vorher hatte man über Wieland gelesen:

Aus den Flügeln erlegter Raubvögel nahm er die längsten, kräftigsten Federn und formte aus ihnen ein mächtiges Schwingenpaar, von eisernen Spangen zusammengehalten und mit ledernen Schlaufen für die Arme versehen. 

Eines Nachts startet er und streckt seine Arme durch die Schlaufen. Er schleppt sich vor die Tür, lässt die Krücken aus den Achselhöhlen gleiten, dass sie zu Boden fallen und schwingt sich mit gewaltigen Flügelschlägen in die Lüfte. Seiner Badhild ruft er zu, sie solle zum Königsschloss kommen, 041wo Wieland dann König Nidung herausfordert, der bald auf den Hof tritt.

Da saß Wieland mit gespreizten Flügeln hoch auf dem Dach der Halle, gegen das Mondlicht wie ein schwarzer Riesenaar anzuschauen.

Er berichtet Nidung den Tod seiner Knaben und erzählt von seiner Frau Badhild, Nidungs Tochter. Der König brüllt vor Schmerz auf.

Der VogelWieland aber stieß sich ab und flog mit brausenden Schwingen vom Dach über die Wallpfähle des Hofes, über die schwarzen Wipfel des Waldes, über die Küste des Meeres hinaus in die mondweiße Nacht. Da sah er tief unten Badhild … »Folg mir nach Seeland, wenn du mich liebst!« rief er hinab.

Badhild schleppt sich dorthin, bekommt ein Kind, den »herrlichen Knaben« Wittlich; König Nidung stirbt und sein Bruder ersetzt ihn: ein gerechter Mann, der Wieland Ehre widerfahren lässt. Der Schmied bekam mit seinen Brüdern die alte Heimat wieder und wurde uralt. Von überallher kamen Fürsten, die sich Schwerter oder Harnische machen ließen, und wer sie hatte, galt als unbesiegbar.

Als Wieland starb — es war in einer klaren, aber stürmischen Rauhnacht —, sagten die Menschen auf Seeland, er sei mit seinem Schwingenpaar über die Dächer seiner zwölf Höfe hinweggebraust und dann geradewegs in den Himmel geflogen. Auf einem Götterberg im Sternbild des Orion habe er Wohnung genommen und schaue in klaren Winternächten funkelnden Auges von dort herab auf Land und Meer.

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Nach: Wieland der Schmied von Kurt Egli, S. 74-92, in: Tod des Lichtgottes, Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1997
Illustration oben: der Schmied John Kelseh von Rock Island, Illinois, aufgenommen 1943 von Jack Delano; wie immer Dank an die Library of Congress, Washington D. C.

Dazu noch zu lesen: Die Seele des Samurai über die japanischen Schwertmeister
Vielleicht noch das: über unseren Wieland, Christoph Martin.

 

 

 

 

 

 

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