Ohne Halt um die Welt

Without Stopping hat Paul Bowles 1972 seine Autobiografie getauft, die deutsche Fassung 20 Jahre später erhielt den Titel Rastlos, gar nicht schlecht. Bowles, 1910 in New York geboren, wurde hierzulande durch seinen Roman Himmel über der Wüste bekannt (1989 von Bertolucci verfilmt) und durch die Stadt, in der er lebte, Tanger in Marokko. Er schrieb viel Filmmusik und auch eigene Partituren, Romane und Kurzgeschichten, und vor allem reiste er rastlos. Man hat den Eindruck, er sei vom 20. bis zum 50. Lebensjahr andauernd unterwegs gewesen. Unglaublich.

Paul Bowles kam 1910 in New York zur Welt und starb 1999 in Tanger, am 18. November. Früh verliebte er sich in die marokkanische Stadt am Meer, seine »Traumstadt«.

service-pnp-wtc-4a00000-4a02000-4a02800-4a02856rDie Topographie dieser Stadt war reich an prototypischen Szenen: Überdachte Straßen, von denen wie von Korridoren Türen zu Räumen auf beiden Seiten abgingen, versteckte Terrassen hoch über dem Meer, Straßen, die eine einzige Treppe waren, dunkle Sackgassen, kleine, auf abschüssigem Gelände angelegte Plätze, die wie aus falscher Perspektive gemalte Ballettkulissen wirkten, mit Gässchen, die nach verschiedenen Richtungen wegführten, aber auch klassisches Traumzubehör: Tunnel, Mauern, Ruinen, Kerker und Klippen. Das Klima war rauh und träge zugleich. Der Augustwind zischelte in den Palmen, zerrte an den Eukalyptusbäumen und fuhr in das Rohrdickicht am Straßenrand.

Mr Bowles liebte Marokko, Nordafrika, die Sahara, doch er hielt sich auch gern in Indien auf, in Ceylon, in Mexiko, auf Costa Rica. Überall suchte er Häuser etwas außerhalb der Stadt, um Musik komponieren zu können, und erwähnt sind Dutzende Häuser. Dabei war er so rastlos nicht. In diesen Häusern lebte er einige Wochen oder Monate, und dann mietete er ein neues, und auch die Reisen nahmen viel Zeit in Anspruch. Von Gibraltar nach New York mit dem Schiff dauerte es ein paar Wochen, und per Bus durch Mexiko, mit dem Kamel in der Sahara …

Auf seinen Reisen hatte er Begleiter und in seinen Quartieren Besucher, und das waren oft kreative Leute, die Ruhm umweht. Da haben ihren Auftritt Leonard Bernstein, Aaron Copland, Truman Capote, Tennessee Williams, William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Carson McCullers und viele mehr. Kam wieder ein Auftrag herein, reiste er zuück nach New York oder arbeitete in Paris.

Er hat viel gearbeitet und hatte Erfolg. Manche Projekte scheiterten früh, manche später: das Risiko des Künstlers. Seine Vertonungen lieferte er immer rechtzeitig ab, und seien Reisen ging er systematisch an. Was die Chaoten (Künstler), die bei ihm zu Gast waren, anstellten, gibt er nur wieder; Paul Bowles selbst bleibt immer außerhalb, war stets pragmatisch, schildert alles trocken und sachlich. Er muss der ideale Gastgeber (und Reisende) gewesen sein: unauffällig, immer aufmerksam, gelassen, nachsichtig. Die fremden Welten haben ihn gefesselt, aber er sah nur zu und staunte. Eine Stelle hat mir gefallen:

Obwohl ich darin geübt war, so zu tun, als existierte ich nicht, hatte ich in Marokko Schwierigkeiten damit. Es war nicht zu leugnen, dass ein Fremder wie ich, noch dazu blond, ein Blickfang war. Am liebsten hätte ich alles so gesehen, als wäre ich nicht dabei.

OIP.1_aP7utLSSWP9PpG8WhHKQAAAAMan kann sich nicht sattlesen an Bowles‘ Beschreibungen von Städten und Ländern und Reisen. 1937 lernte er seine Jane kennen, und es war eine Verbindung, die 20 Jahre hielt, bis sie schwer krank wurde. Sie lebten in Tanger und an anderen Orten zusammen, aber viele Monate war er allein auf Reisen und sie in New York, irgendwie war es auch eine Fernbeziehung, die Paul Bowles aber Halt gab. Als Jane einen leichten Gehirnschlag hatte (1957), schrieb Bowles, er fürchte, die guten Jahre seien nun vorüber. Zum ersten Mal habe er — als er ein Jahr in Bangkok verbringen wollte — die übliche Vorfreude vermisst, und später äußert er sich so:

Ich habe mir nie vorgenommen, mein Leben in Tanger zu verbringen, es hat sich so ergeben. … Dann kam der Tag, als ich schockiert feststellte, dass es nicht nur viel mehr Menschen auf der Welt gab als noch vor kurzem, sondern dass auch die Hotels weniger gut waren, das Reisen unbequemer und die Orte im allgemeinen hässlicher. Seitdem sehnte ich mich, wohin ich auch reiste, nach Tanger zurück. Wenn ich also immer noch hier bin, so nur, weil ich hier war, als mir bewusst wurde, wie sehr die Welt sich zum Schlechten entwickelt hatte.

Ja, eine goldene Epoche war zu Ende. Das Reisen der Begüterten und der Außenseiter, das Reisen mit Stil kam zu einem Ende. Das Reisen wurde Massenware, alles ging immer schneller, das Automobil und die Bauwut zerstörten vieles, niemand hatte mehr Zeit. Fünf Wochen in einem Haus auf Puerto Rico verbringen, dann drei Wochen zurückfahren, wieder aufbrechen nach Ceylon: Das ist leidenschaftliches Reisen mit langem Atem, und das gibt es heute nicht mehr.

Als sein Buch Without Stopping erschien, hatte Jane, die in einer Klinik in Malagà lag, noch ein Jahr zu leben, und eine gewisse Leere dringt schon zwischen die Zeilen, und Paul Bowles erwähnt den Tod und seine Hoffnung, es möge damit sein Bewenden haben, der Abschied möge ein endgültiger sein.

 

Illustration oben: Straßenszene in Tanger, Fotograf: William Henry Jackson (1843-1942), Dank an Library of Congredd; Mitte: Tempel in Indien, G. Braghetti; unten: Jane und Paul, Fotograf mir unbekannt.

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