Winteridyll von Horaz

Der Soratte ist ein 691 Meter hoher Berg im Tibertal, 50 Kilometer nördlich von Rom. Der mons Soracte, wie er auf Lateinisch heißt, liegt in der Nähe von Cività Castellana, man sieht ihn aus dem Zug, und auf Radtouren früher haben wir ihn auch oft erblickt. Er wirkte immer höher, als er war. Im Winter soll er oft schneebedeckt sein. Da nun Schnee liegt, erinnerte ich mich an ein berühmtes Gedicht von Horaz.

Horaz schätze ich sehr. Er hat von 65 bis 8 vor Christus gelebt und ist der Dichter des Carpe diem, nutze den Tag, das in meinem Römischen Lesebuch, herausgegeben von Manfred Fuhrmann (1987) Heute ist heut! heißt. Horaz war ein melancholischer Dichter mit Humor. Und mir gefällt, dass der Soracte hoch und unverkennbar aufragt aus dem Tal wie »mein« Castellberg, und dass er gerade 250 Meter höher ist. 

Der Castellberg, 444 Meter, bestäubt

Das Winteridyll ist von Rudolf Helm (1872−1966) übersetzt und 1940 in Stuttgart veröffentlicht worden. Der Übersetzer ist zwar erst 56 Jahre tot (nach 70 Jahren erlischt das Urheberrecht), aber als Entschädigung hier Daten aus seinem Leben: geboren in Berlin, Assistent bei dem großen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, 1907 Professor an der Universität Rostock, von 1922 bis 1937 Rektor. Weil seine Frau Jüdin war, wurde er von den Nationalsozialisten zwangsweise in den Ruhestand versetzt, und wir denken an Professor Leisegang. Nach dem Krieg erhielt Helm seine Professur zurück und lehrte noch einige Jahre als Ermeritus, bis er sich mit 81 zurückzog. Der antike Roman (1948) ist Rudolf Helms Hauptwerk.  

Winteridyll

Siehst du, wie leuchtend dort in dem tiefen Schnee
Sich der Soracte hebt? Es ertragen kaum
Die Wälder ächzend ihre Last noch;
Starr sind die Flüsse von starkem Froste.

Leg’ reichlich Scheite nach auf des Hauses Herd,
Die Kälte zu verjagen, und freundlich reich’
Uns einen vier Jahr alten Tropfen
Heut, Thaliarch, aus Sabinerkruge! 

Das andre lass den Göttern! Besänft’gen sie
Der Stürme Kampf auf tobendem Meer einmal:
Nichts rührt sich mehr an den Zypressen
Noch in den Wipfeln der alten Eschen.  

Was morgen sein mag, hüte zu fragen dich!
Und jeden Tag, den dir das Geschick gewährt,
Nimm als Gewinn und weis’ die süße
Liebe, mein Junge, und Tanz nicht von dir.

Solang du frisch und mürrisches Alter noch
Dir ferne bleibt! Jetzt solltest du Feld und Platz
Und zu der festgesetzten Stunde
Leises Geplauder bei Dämm’rung suchen!

Jetzt freu’ dich noch des Lachens, das schelmisch dir
Im fernen Winkel Liebchens Versteck verrät,
Des Pfandes auch, das du vom Arm ziehst
Oder vom Finger, der kaum sich weigert!

 

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