Katerina

Katerina ist einer der 46 Romane von Aharon Appelfeld, der 1932 in Czernowitz in der Ukraine geboren wurde. Er kam als Kind glücklich durch den Krieg, erreichte Israel und war später 25 Jahre Professor für Hebräisch. Appelfeld pflegt eine einfache Sprache, doch der Aufbau seiner Bücher ist kunstvoll. Das, worum es geht, wird oft nur am Rande abgehandelt und prägt sich deshalb stark ein. Heute vor zwei Jahren ist der Autor in Jerusalem gestorben.

DSCN0781Die Erzählerin Katerina ist 80 Jahre alt und nach einem schweren Leben in ihr ukrainisches Heimatdorf zurückgekehrt, das an einem stillen See liegt. Dort erzählt sie uns alles von früher, und am Ende, auf Seite 249, sind wir wieder in der Gegenwart angekommen, und wortwörtlich werden die ersten 5 Seiten des Romans wiederholt bis zum Satz

Schade, dass es den Toten versprochen ist zu sprechen. Sie hätten viel zu erzählen, da bin ich mir sicher.

Katerina verlor früh die (grausame) Mutter, der Vater wurde verschleppt, sie arbeitete in Wirtshäusern, lernte den Juden Sami kennen, bekommt von ihm das Kind Benjamin, das ein betrunkener Mann erschlägt. Da tötet sie ihn mit vielen Messerstichen und wird als Mörderin inhaftiert. 40 Jahre verbringt sie im Gefängnis, und erst als alte Frau kommt sie frei. Die Juden hat sie immer geliebt, da sie gut zu ihr waren, und sie wendet sich schließlich der jüdischen Religion zu.

Statt Analysen ein paar Zitate. Im Dorf redet man über die Juden, die nicht geschätzt werden.

Liebschaften mit Juden war auch etwas, worüber man gerne sprach. Bei diesem Thema gingen die Meinungen auseinander. Manche waren überzeugt, es gebe nichts Besseres als ein Verhältnis mit einem Juden, sie seien feinfühlig und sauber und täten einer Frau nie etwas Böses an, andere meinten, sie würden sich benehmen wie verwöhnte Kinder. Was eine Frau brauche, sei ein Stier, nicht dieses Gestreichel und Gesäusel.

Katerina und ihr Rechtsanwalt, der zu ihr ins Gefängnis kommt:
»Es gehen hier Gerüchte, dass es in den Dörfern Massaker gegeben habe.«
»Das macht Ihnen Sorgen?«
»Die Juden, müssen Sie wissen, stehen mir sehr nahe.« (…) 
»Sie sind mir teuer«, sagte ich. (…)  »Ich werde nicht aufhören, sie zu lieben«, brachte ich noch heraus, bevor der Besuch beendet war.

In jenen schrecklichen vierziger Jahren schrieb ich nichts auf … Damals bekam ich eine seltsame Hautkrankheit, die mein Gesicht entstellte. (…)
Überall in der Luft hing ein süßlich-säuerlicher Geruch. Ich wusste nicht, dass dies der Geruch des Todes war. Die anderen wussten es und sagten, 079das sei der Geruch der sterbenden Juden … In den frühen Morgenstunden, während wir Rüben ausmachten, fuhren lange Güterzüge an uns vorbei. Die Gefangenen näherten sich diesen Zügen mit Freudengeschrei: »Tod den Händlern, Tod den Juden!« Sie wussten alles, ihre Sinne waren wach.

(…)
»Wie viele Züge sind heute Nacht vorbeigefahren?«
»Sieben«, antwortete jemand. 
»Offenbar haben sie den Rhythmus erhöht«, hörte ich Sigi sagen. Alle verglichen die Zahl der Züge, die sie gesehen hatten. 
Die Züge rasten schnell durch das Tal, wie glühende Kugeln.

 

DSCN0100»Katerina«. hörte ich eine Stimme.
»Ich bin deine Dienerin, Herr«, antwortete ich sofort.
»Ziehe deine Schuhe von den Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land.« (…)

Die Ruine stammte aus einem jüdischen Haus. (…) »Ich weihe dich zu einer Synagoge«, sagte ich und trat ein. Drinnen war das Licht schärfer als draußen. Ich streckte die Hand aus und wollte rufen, Herr im Himmel, doch da sah ich, dass der schreckliche Ausschlag auf meinen Händen verschwunden war …

 

Aus: Aharon Appelfeld, Katerina, aus dem Hebräischen von Mirjam Fressler.
Illustrationen: oben See in Westungarn, Mitte alte Rampe Auschwitz-Birkenau, unten Ruine in der Caffarella (Rom).

 

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