Anekdoten von Wissenschaftlern (2): Die Schweigsamen

Mit Wilhelm Busch und Anton Bruckner waren uns schon zwei Künstler begegnet, die nicht viele Worte machten. Solche Schweiger gab es in der Wissenschaft auch. Sie waren vertieft in ihr Fach und hatten anscheinend Besseres zu tun als zu reden. Aber Erfolg hatten sie dennoch. Zu schreiben scheint ihnen leichter gefallen zu sein. 

Der in Bristol geborene Paul Dirac (1902-1984) war ein Gigant der Physik des 20. Jahrhunderts. Er bekam den Lehrstuhl in Cambridge zugesprochen, den einst Isaac Newton 250 Jahre zuvor innegehabt hatte. (Da musste er vermutlich Vorlesungen halten und andauernd sprechen.) Der große Physiker J. J. Thomson war nicht erfreut über die Wahl und erzählte eine Parabel: Ein Mann kaufte einen Papagei, der sprechen sollte. Nach einigen Tagen kehrte er zum Verkäufer zurück und beklagte sich, der Papagei habe nichts von sich gegeben. Der Verkäufer rechtfertigte sich: »Ich muss einen Fehler gemacht haben. Ich dachte, der Vogel wäre ein Sprecher, aber jetzt sehe ich, dass er ein Denker ist.«

wusteLeopold Infeld hatte eine Unterredung mit Dirac. Er wurde in einen Ohrensessel dirigiert. Auf Infelds erste Frage: keine Antwort. Ob er etwas dagegen habe, wenn er, Infeld, an diesem Thema arbeite? — »Nein.« Auf eine weitere Frage erhielt er eine Antwort, die aus fünf Wörtern bestand. Wieder Schweigen. Ob er etwas dagegen habe, wenn er sich bei Problemen an ihn wenden würde? — »Nein.« Damit endete die einseitige Unterredung.

Ein Journalist des Lokalblattes interviewte den Professor. »Come in«, lud er ein. Fing ja gut an. Die Antworten auf die Fragen des Journalisten lauteten nein, ja, ja, nein, ja; dann sagte Dirac »Kartoffeln« auf die Frage, was ihm in Amerika am besten gefiele, dann noch zwei Ja und wieder ein Wort auf die Frage, ob es jemanden gäbe, dessen Gedankengänge nicht einmal er verstehen würde: »Weyl«. Ende des Interviews.

John Bardeen (1908-1991) gewann zwei Nobelpreise für Physik, 1956 und 1972. Das ist außerordentlich. Er hieß bei seinen Studenten der flüsternde John, weil er immer leise sprach. Bardeen erfand die Grundlagen des Transistors, und als er eines Abends heimkam, verriet er seiner Frau: »Wir haben heute etwas entdeckt.« Danach gelang es ihm noch, die Supraleitfähigkeit zu erklären, was ihm den zweiten Nobelpreis einbrachte. In der Halle der Universität von Illinois hielt er seinen Freund Charles Slichter auf, der sich erinnerte: »Es war klar, dass er etwas sagen wollte, aber er stand bloß da. Ich wartete. Endlich sagte er: ›Ich glaube, wir haben die Supraleitfähigkeit erklärt.‹«

Bardeen war sehr diskret. Sein jahrelanger Golfpartner wandte sich einmal an ihn: »Sag mal, John, ich wollte dich etwas schon länger fragen. Womit verdienst du eigentlich dein Geld?« Das war, nachdem der Professor schon seine beiden Nobelpreise eingeheimst hatte.

Wilhelm Friedrich Herschel (1738-1822), in Hannover geboren, interessierte sich für Astronomie und baute in Bath ein vorbildliches Teleskop. Insgesamt konstruierte er 400 Teleskope. Er wurde später Königlicher Astronom. Herschel entdeckte den Planeten Uranus mit seinen Monden, Doppelsterne, und gegen Ende seines Lebens stieß er als erster auf das Infrarot.

Einmal begegnete er Henrry Cavendish (1731-1810), dem bekanntesten Experimentator seiner Zeit. Cavendish war ein scheuer und exzentrischer Junggeselle, der sich in seine Haus eine extra Treppe bauen hatte lassen, damit er seinen Bediensteten aus dem Weg gehen konnte. Der Sohn von Wilhelm Herschel erinnnerte sich an den Abend in Deptford, als Herschel neben dem verschlossenen Cavendish saß, der nach langer Pause dann doch das Wort an seinen Nachbarn richtete: »Man sagt mir, dass sie die Sterne ganz rund sehen, Doctor Herschel.« Der Angesprochene erwiderte: »Rund wie Knöpfe.« — Cavendish fasste nach: »Rund wie Knöpfe?« — »Genau, rund wie Knöpfe.« Damit endete die Konversation der beiden, die sich viel zu sagen gehabt hätten.

 

aus: Walter Gratzer, Eurekas and Euphorias, Oxford University Press 2002.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.