Anekdoten von Wissenschaftlern (4): Entdecker Zufall

Im Krimi löst sich manches Rätsel ganz zufällig. Kommissar Zufall griff ein, sagt man. In der Wissenschaft gibt es das auch, da müsste man vom »Entdecker Zufall« sprechen. Jemand macht etwas falsch, etwas misslingt, und daraus entsteht etwas Gutes. Das gibt Hoffnung.

service-pnp-gsc-5a14000-5a14000-5a14091rEnrico Fermi (1901-1954) wollte in seinem Labor 1934 untersuchen, wie eine Reihe von Elementen auf Neutronenbeschuss reagierte. Der Kern der schwereren Atome nahm das Neutron auf und gab einen Gammastrahl von sich. Mit Sodium klappte es, mit Aluminium auch, aber dann trat eine Stockung ein; auf Holztischen im Labor ging es besser, und Paraffin als Abschirmung erhöhte deutlich die Radioaktivität. Vermutlich, überlegte Fermi, waren die Neutronen durch die Kollision mit Wasserstoffkernen (Protonen) beeinflusst worden, dire wohl im Paraffin oder Holz steckten. Erst 2001 sagte der damalige Hausmeister aus, eine Reinigungskraft namens Cesarina Marani habe damals drei Eimer Wasser unter Labortischen stehenlassen. Vielleicht kamen daher die vielen Wasserstoffatome? Ein neues Kapitel in der Atomphysik war eröffnet, das leider zur Atmbombe führen sollte.

Andrew Nalbandow, Physiologe an der Universität Wisconsin, untersuchte die Funktion der Hypophyse, der Hirnanhangsdrüse, die wichtige Hormone ausschüttet. Chirurgisch lässt sie sich schwer entfernen; alle Hühner, bei denen es gelungen war, starben. So konnte man nicht herausfinden, welche Folgen ein Leben ohne Hypophyse hat. Dann wieder überlebten viel Hühner, auch 3 Wochen lang — und dann starben sie wieder. Frustrierend. Nalbandow erinnerte sich an das Jahr 1940:

Ich fuhr um eines Morgens um 2 Uhr von einer Party heim und am Labor vorbei, und im Raum der Tiere brannte Licht. Ich hielt an und machte es aus. Ein paar Tage später brannte das Licht in der Nacht schon wieder. Es stellte sich heraus, dass der stellvertretende Hausmeister es angelassen hatte, um den Ausgang zu finden. Eine weitere Untersuchung ergab, dass dessen Dienst mit dem Überleben vieler Hühner zusammenfiel. Kontrollierte Experimente führten zu dem Ergebnis, dass Hühner ohne Hypophyse in der Dunkelheit alle starben, während sie fast unendlich lebten, wenn sie zwei Mal eine Stunde Helligkeit hatten. Die Erklärung war, dass Tiere in der Dunkelheit nicht essen und dadurch einen zu niedrigen Blutzuckerspiegel aufweisen, wovon sie sich nicht erholen. 

Der deutsche Chemiker Christian Friedrich Schönbein (1793-1868) entdeckte die Waffenbaumwolle, die auch Nitrocellulose heißt. Es wurde nach der Entdeckung als Schießpulver und Sprengstoff verwendet. Schönbein war 1829 Professor in Basel. Manchmal arbeitete er zu Hause weiter und, wie erzählt wird, erhitzte in seiner Küche in einer Flasche eine Mischung aus Nitrit- und Sulfursäuren. Die Flasche zerbrach, und der Inhalt floss auf die Arbeitsfläche der Küche. Der Chemiker war in Panik und packte einen Gegenstand, um die Fläche sauberzuwischen: die Baumwollschürze seiner Frau. Er wischte, wusch die Schürze mit Wasser und hängte sie neben den Ofen. Dann geschah eine leise Explosion ohne Rauch, und die Schürze war verschwunden. Später wurden Projektile mit Waffenbaumwolle gefüllt. Wieder eine böse Entdeckung.

service-pnp-ppmsca-32700-32708rNun eine gute Entdeckung. Alexander Fleming (1881-1955), der in einem Labor nahe Bahnhof Paddington in London arbeitete, machte sich gern lustig über seinen Assistenten, der jeden Abend seinen Laborplatz gründlich aufräumte. Bei Fleming blieben immer 40 oder 50 Kulturen über Nacht stehen. »Wäre er so reinlich gewesen wie ich«, erkannte der Assistent später, »er hätte nie seine Entdeckungen gemacht«, darunter Penicillin. 1928 legte Fleming Abstriche von diversen Infektionen in Nährlösungen ein, und wie üblich blieben ein paar stehen, und dann fuhr er nach Schottland in den Urlaub.

Nach der Rückkehr sah er sich die Proben an und murmelte: »Das ist komisch.« Bei einigen zeigte sich ein Auswuchs auf der Lösung, und die Bakterienkolonien waren verschwunden. Was wirkte, war Penicilium rubrum. Doch erst neun Jahre später, 1938, stieß jemand auf die von Fleming darüber veröffentlichte Arbeit. Alexander Fleming erhielt mit zwei Kollegen den Nobelpreis und meinte, er habe den Preis nicht verdient. Doch alle erinnern sich nur an seinen Namen. Warum das so ist, ist nicht ganz klar. Die Welt ist menschlich, also nicht gerecht, und sie geht ihren eigenen Weg, und es geht um die gute Entdeckung, nicht um den Ruhm.

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Eine Episode muss noch hierhin, weil sie zu schön ist. Marianne Williamson hat sie in ihrem Buch A Return to Love und zitiert aus Deepak Chopra, Quantum Healing:

Bei einer Studie über Herzkrankheiten an der Universität Ohio in den 1970-er Jahren gab man Kaninchen eine extrem cholesterinhaltige Diät, damit ihre Arterien blockiert würden. Die Resultate glichen sich in allen Gruppen bis auf eine, in der die Versuchskaninchen 60 Prozent weniger Symptome aufwiesen. Nichts im Körperbau der Tiere ließ darauf schließen, dass die Tiere die Nahrung so gut vertrugen, bis durch Zufall entdeckt wurde, dass der Student, der diese bestimmten Kaninchen fütterte, sie gern streichelte und hochnahm. Er hielt jedes Kaninchen einige Minuten, bevor er es fütterte: erstaunlicherweise schien einzig das die Tiere zu befähigen, mit der toxischen Diät klarzukommen. Wiederholungen des Experiments mit neutraler und liebevoller Behandlung hatten ein vergleichbares Ergebnis.  

 

Illustrationen: oben Labor in Montreal, 1947 von Gottscho-Schleisner fotografiert;
unten: Laboratorium der Yale-Universität, 1957, von Paul Rudolph (1918-1997);
Dank an die Library of Congress, Wash. D. C.

 

 

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