Wandern im Hades

Der zweite Text von Robert Walser spielt im Nebel. Die Gestalten sind schwarz, die  Hoffnung ist fern. So mag es denjenigen gehen, die, weil sie nichts glaubten oder negativ eingestellt waren, nach dem Tod in einem Zwischenreich verweilen müssen ― je nach Kulturkreis Limbo, barzakh, Hades oder Fegefeuer ―, bevor es weitergeht. Auch da bäumt sich der Lebenswille auf, und alles kann gut werden.

Die Landschaft

Alles war so schaurig. Nirgends ein Himmel, und die Erde war nass. Ich ging, und indem ich ging, legte ich mir die Frage vor, ob es nicht besser sei, mich umzudrehen und wieder heimzugehen. Aber ein unbestimmtes Etwas zog mich an, und ich verfolgte meinen Weg durch all die düstere Verhängtheit weiter. Ich fand an der unendlichen Trauer, die hier ringsum herrschte, Gefallen, Herz und Phantasie gingen mir auf in dem Nebel, in dem Grau. Es war alles so grau. Ich blieb stehen, gebannt vom Schönen in diesem Unschönen, bezaubert von den Hoffnungen inmitten dieser Hoffnungslosigkeit. Es schien mir, als sei es mir fortan unmöglich, noch irgend etwas zu hoffen. Dann schien es mir wieder, als schlängle sich ein süßes, unsagbar reizendes Glück durch die trauervolle Landschaft, und ich glaubte Töne zu hören, aber es war alles still. Noch ein anderer Mensch schritt durch das Gehölz, durch all dieses schwermütige Schwarz. Seine vermummte Gestalt war noch um etwas schwärzer als das Schwarz der Landschaft. Wer war es, und was wollte er? Und nun tauchten bald noch andere schwarze Gestalten auf, aber keine der Gestalten kümmerte sich um die andere, jede schien genug mit sich selbst zu tun haben. Auch ich kümmerte mich nicht mehr, was diese Leute wollten und wohin sie gehen mochten in der Finsternis, sondern ich kümmerte mich um mich selbst und zog hinaus in die eigene Unklarheit hinein, die mich mit nassen, kalten Armen rasch umarmte und an sich riss. O es kam mir vor, als sei ich einst ein König gewesen und müsse nun als ein Bettler ziehen in die weite Welt, die da strotzt vor Unkenntnis, die da strotzt von dicken und finsteren Gedanken- und Gefühllosigkeiten; es kam mir vor, als sei es ewig nutzlos, gut zu sein, und ewig unmöglich, redliche Absichten zu tragen, und als sei alles töricht und als seien wir alle nur kleine Kinder, zum voraus den Torheiten und Unmöglichkeiten überliefert. Dann gleich nachher war wieder alles, alles gut, und ich ging mit unaussprechlich freudiger Seele weiter durch die schöne fromme Dunkelheit.

2021-01-28-0002

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