Judex tremendus

Die Prophezeiungen des heiligen Malachias (1094-1148), eines irischen Bischofs, haben die katholische Kirche über Jahrhunderte verfolgt. Es sind 111 kurze, ungeheuer treffende Begriffe zu Päpsten der Christenheit. Der letzte Spruch bezieht sich auf den Nachfolger von Johannes Paul II., unseren Benedikt XV. also, und dann folgt nur noch ein kurzer Ausblick auf ein Strafgericht des Judex tremendus, des »furchtbaren Richters«.  

013Der Belgier Arnold Wion veröffentlichte 1595 in Venedig ein Buch über die Mitglieder des Benediktinerordens und zitierte darin auch die 111 Sprüche des Malachias, die aufgegriffen und einschlägig bekannt wurden. Forscher erkannten bald, dass es stilistisch einen Bruch gibt zwischen den 71 ersten Prophezeiungen und den 40 folgenden und letzten, die die Päpste nach etwa 1580 charakterisieren — also bis hin zum Jahr 2005, als Benedikt XV., der Bayer, Johannes Paul II. ablöste. Dann brechen die Weissagungen ab, und für die Zeit danach wird (auf Lateinisch) gesagt:

Während der letzten Verfolgung der heiligen römischen Kirche wird Petrus, ein Römer, regieren. Er wird die Schafe unter vielen Bedrängnissen weiden. Dann wird die Siebenhügelstadt zerstört werden und der furchtbare Richter wird das Volk richten.

DSCN0020Das würde auf einen zyklischen Verlauf hindeuten: Der erste Papst war ja auch Petrus. Der letzte soll also auch so heißen. Und Rom war ja schon oft entvölkert und ruiniert. Wir wissen jedoch nicht, wann dies alles eintreffen wird. Es ist unklar, wieviele Päpste noch regieren werden bis zu diesem Untergang. Unvorstellbar scheint das; doch wenn jemand vor zwei Jahren prophezeit hätte, die Menschen der ganzen Welt würden monatelang in ihren Häusern verharren, und Rom und Paris und New York würden leer sein, — niemand hätte es geglaubt (was durch das Virus dann eintrat). Meine Quelle ist das Buch Die Papstweissagung des heiligen Malachias von Hildebrand Troll, erschienen 1988 im Pattloch-Verlag. In jenem Jahr wusste man noch nichts von einem Nachfolger für den polnischen Papst, doch erklärt wird der erwähnte Bruch nach 71 Sprüchen.

Der heilige Malachias scheidet demnach als Urheber aus. Vermutet wird, dass der heilige Philipp Neri (1515-1595) die Weissagungen traf. Er war ein Mystiker, sah in die Zukunft wie Anna Maria Taigi, erlebte Levitationen und die heilige Messe im entrückten Zustand. Die Weissagungen zu den »alten« Päpsten (bis 1580) konnte man leicht im Rückblick erstellen und sie dem Malachias zuschieben. Wer dafür verantwortlich ist, weiß man nicht. Doch die 40 folgenden Aussagen zu den Päpsten danach sind treffend, auch wenn bei der Deutung immer etwas Phantasie gefragt ist.

Es sind immer nur ein paar Worte. Für Albino Luciani, Papst Johannes Paul I., wird De medietate lunae genannt, Von der Hälfte des Mondes. Als dieser Papst am 25. August 1978 gewählt wurde, stand der halbe Mond über dem Vatikan, und die zweite Hälfte steht für das Sterben, denn sein  Pontifikat dauerte nur 33 Tage. Für seinen Nachfolger: De labore solis, Von der Bedrängnis der Sonne. Als Karol Woityla am 18. Mai 1920 geboren wurde, verzeichnete man eine Sonnenfinsternis. In Polen war der Katholizismus bedrängt, und aus dem Osten kommt das Licht.

Nur noch für seinen Nachfolger gibt es einen Spruch: Gloria olivae, Ruhm des Ölbaums. Dies ist eine Devise der Marienverehrung und des Friedens. Inwieweit das auf den nunmehr emeritierten bayerischen Papst zutrifft, können wir hier nicht entscheiden. Und für den Rest muss man abwarten.

 

Illustration oben: Die Fassade der Basilika San Paolo fuori le mura, die an der Oberkante des hallenähnlichen Raumes aufgereiht Mini-Porträts aller Päpste bislang aufweist, und das Oval für den derzeit amtierenden ist immer leer (bis er stirbt); rechts: ein aufgelassenes Schulhaus am Tiber, Schauplatz meines Romans »Tod am Tiber«.

 

 

 

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