Victoria und ihr Husar

Michael schickte mir das Bild von seinem neuen Stadtrad, das er sich aus drei Schrotträdern zusammengebaut hatte. Das weckte in mir Verlangen nach meinem antiken Einkaufsrad, das im Fahrradkeller stand. Gleich bin ich hinunter, hab es aufgepumpt und bin am nächsten Morgen damit ausgefahren. Nein, ich darf meine Victoria nicht vernachlässigen!

Gleich ein paar Fotos. Der Rahmen ist ein »Schwanenhals-Rahmen«, guter Ausdruck.

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Michael, der Experte mit Fahrradmuseum, meinte, wenn ich die Rahmennummer lesen könne, würde er mir das Baujahr sagen. Es ist das Jahr 1953, Victoria ist also etwas älter als ich. Die Firma Victoria wurde 1886 in Nürnberg gegründet und hatte 1888 schon 1000 Räder verkauft. Ab 1901 fertigte sie auch Motorräder. (Darum wird’s demnächst einen Motorrad-Betrag geben.)

 

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Oben seht ihr das Rad von Michael, das er über den Winter erstehen ließ. Er schreibt übrigens, er renoviere Räder, er restauriere sie nicht; das klinge übertrieben. Die Geschichte dazu liest sich interessant:

Ich habe mich von meiner »Stadtschlampe« verabschiedet. Ein Herrenrad, dass ich vor ca. 30 Jahren beim Angeln aus dem Neckar zog und unverrichteter Dinge gleich zur Polizei brachte. Das stand es im Haupteingang, triefend, umhüllt mit Algen und nach Moder stinkend. Und der sichtlich verwirrte Polizist fragte mich, ob ich es mit nach Hause nehmen kann. Wenn sich die Polizei nicht innerhalb eines halbe Jahres meldet, gehört es dann mir. Ich wusste sofort, dass es jetzt meines ist und richtete es unverzüglich her. Mit diesem Rad bin ich bestimmt 100.000 km gefahren. Nun brach zum dritten Mal der Rahmen, der Lack ist völlig verschwunden und nach dem Winter ist es nur noch rostig. Kein schöner Anblick. Ich habe mir nun aus drei Schrott-Rädern aus den 50-ern eine neue Stadtschlampe (genannt der »Hirsch«, weil ein Löwe das Schutzblech ziert) zusammengebaut, dass mich wahrscheinlich überleben wird. Teile des Neckarrades sind auch verschafft.

Der Löwe ist gut zu sehen. Früher prangte auf dem Schutzblech vorn immer ein Symbol — bei mir ist es der Adler.

Und nun noch zum Titel: Viktoria und ihr Husar ist eine Operette mit Musik von Paul Abraham, die 1930 in Budapest uraufgeführt wurde. Viktoria, eine Gräfin, lebt in Tokio mit ihrem Mann, dem US-Botschafter. Plötzlich taucht in der Botschaft Stefan Koltay auf, der aus einem russischen Lager geflohen ist: der Mann, den sie vor dem Koreakrieg liebte. Die beiden sprechen sich aus.

Operetten gehen immer gut aus, doch vorher muss es schlecht aussehen für das Liebespaar. Stefan liefert sich den Russen aus, weil er glaubt, Viktoria liebe ihn nicht mehr; sie leidet, bis der Botschafter begreift, dass ihre Liebe dem Ungarn gilt. Am Ende ist Viktoria von dem Amerikaner geschieden, und in einem ungarischen Dorf soll Hochzeit gefeiert werden. Traditionell heiraten drei Paare, doch eins fehlt noch. Wie wär’s mit Viktoria … und dem Botschafter, der unversehens auftaucht? Mit ihm kommt … Stefan Koltay, den er gerettet hat. Viktoria und ihr Husar sollen heiraten, sagt er großmütig, freut sich an deren Glück und zieht sich zurück.

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Zur Musik noch eine Anmerkung: Franco Battiato ist gestorben, 76 Jahre alt. Der Maestro hat sich zur Ruhe begeben. 2014 habe ich ihn vorgestellt, aber seither habe ich mir immer wieder die Live-Aufnahmen seines Centro di gravità permanente angesehen, weil darin Intellekt steckt, Ausdruck und Kraft.

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