Jugend musiziert

Ich komme von einer Reise zurück und berichte dann über meine Erlebnisse, also regelmäßig eine Woche später. Bei den Griechen hat es auch so lange gedauert, bis ihr Sieg über die Perser gemeldet wurde, und noch zu Napoleons Zeiten ging es nicht viel schneller. Heute gibt es fast alles »in Echtzeit«: Börsendaten, Fußballergebnisse, Wahlresultate. Fühlen wir uns da besser? Wir sollten weniger besser wissen – und das kann ruhig später sein.

Vor einer Woche wohnte ich dem Jubiläumskonzert der Stadtjugendkapelle Landsberg bei. Beiwohnen, ist das nicht schön? Es war der 40. Geburtstag des Klangkörpers, und das folgt gut auf den 30. Geburtstag von Ortlieb, der gestern Thema war. Das Konzert Ende Januar ist für mich Tradition, wenn ich in Landsberg bin; meiner Mutter gefällt die Musik, und sie ist auch eine Bewunderin des Dirigenten Hans-Günter Schwanzer, der die Kapelle seit 1990 leitet.  

Mir gefällt das ja auch, denn die Stadtjugendkapelle hat immer ein attraktives Programm. Blech, das speist einem neue Energie ein, und tatsächlich verbesserte sich meine Laune. Kung Fu Fighting, Down Town und das Abba-Medley waren weniger mein Fall, aber bewegend war der Waltz No. 2 von Dimitri Schostakowitsch, den Stanley Kubrick für seinen Film Eyes Wide Shut (mit Tom Cruise und Nicole Kidman, 2000) verwendet hat. Da kam mir die wunderbare Musik von Nino Rota für die Filme von Federico Fellini in den Sinn, die ich gern einmal von diesem 70-köpfigen Orchester hören würde.  

Den Florentiner-Marsch gab es noch, Mein Regiment, na ja, und als Zugabe den Bozner Bergsteigermarsch, der so gnadenlos schmissig ist, dass er die Melodie des Waltz No. 2, die ich noch im Kopf hatte, einfach niederwalzte. Eine ganz professionelle, souveräne Walze war Moderator Alex Dorow, bekannt aus dem Bayerischen Fernsehen, nun Mitglied des bayerischen Landtags und CSU-Kreisvorsitzender in Landsberg am Lech. In den Jahren zuvor hatten junge Orchestermitglieder durch den Abend geführt, was zwar manchmal unbeholfen wirkte, aber dafür charmant.  

Nun hatte man im Zuge einer Professionalisierung um den »Promi« aus Landsberg geworben, dessen Name dann auf den Plakaten stand, was gewiss dazu geführt hatte, dass die Veranstaltung fast ausverkauft war. Da war Stimmung. Die jungen Leute des Orchesters sind gern dabei; sie können durch die Welt reisen, machen schöne Musik und lernen etwas dabei.  

Es ist eine eigenwillige Welt mit all den »Registern«, wie die Gruppen der Instrumente heißen. Rechts vorn die Klarinetten, dahinter Flügelhörner, noch weiter hinten die Zugposaunen und ganz hinten das Schlagwerk; in der Mitte Waldhörner, links Trompeten und Saxophone und vorn die Flöten: Die müssen vorn sitzen, damit sie nicht untergehen.  

Blasmusik hat eine lange Tradition in Bayern und Deutschland. Woher sie kommt, da schauen wir mal nicht bei Wikipedia nach. Die Trompeten von Jericho sind uns auch so ein Begriff. Schmetternd begleitet zog man in den Krieg. Die Blaskapellen in den Bierzelten – das muss, anthropologisch betrachtet, die Erzeugung von Ekstase durch strukturierten Lärm sein, unterstützt von einer bewusstseinsverändernden Substanz (Bier).

Blechmusik fußt wie das Fußballspiel auf Disziplin, eine bürgerliche Kardinaltugend. Die Musiker tragen einheitliche Kleidung, die Jungs haben kurze Haare, es gibt den Beirat, den Beiratsvorsitzenden, den Notenwart, die Schriftführerin, den Finanzchef. Der Dirigent, der als einziger keinen Ton produziert, ist der Chef. Man muss sich unterordnen. Für die vielen Geiger in einem großen Orchester gibt es ja den bösen Begriff »Tuttischweine«. Mich würde es wahnsinnig machen, meinen eigenen Beitrag nicht zu hören. Aber gut: Man macht mit oder lässt es bleiben.  

Ich konnte mir nicht helfen und musste dauernd Jacqueline bewundern, die rechts vorne saß, ein Neuzugang an der Klarinette. Vermutlich ist sie nicht älter als 15, und da kommt wieder Stanley Kubrick ins Spiel, der 1962 Vladimir Nabokovs Roman Lolita verfilmte. Das grandiose Buch um den Literaturwissenschaftler Humbert, der um die 12-jährige Dolores wirbt, wurde 1955 veröffentlicht und wurde bald ein Erfolg. Ich kenne es. Mehr sollte ich nicht dazu sagen. Die Stadtjugendkapelle Landsberg und Jacqueline, der schönste Klangkörper des Abends.   

 

 

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