Dersu, der Mann aus den Wäldern

Damals, als ich in Rom lebte, fuhr ich oft mit dem Rad hinauf ins Parioli-Viertel und suchte das japanische Kulturinstitut auf. Da gab es ungewöhnliche Ausstellungen und Filme, und in einer Kurosawa-Reihe sah ich dort vor 20 Jahren schon einmal Dersu Usala, der 1975 gedreht wurde. Nun habe ich den Film aus Youtube noch einmal gesehen, im originalen Russisch mit englischen Untertiteln.

Er gehört bei manipogo zum Umkreis von Unna, denn er spielt im äußersten Nordosten des asiatischen Kontinents: in den Wäldern zwischen Russland und China. Es ist eine wahre Geschichte, die Wladimir Arsenjew unter dem Titel Dersu Usala der Taigajäger veröffentlichte. Arsenjew selbst lernte Dersu kennen, als er einen Trupp von Soldaten zum Ussuri-Fluss führte, um  die Region zu kartografieren. Die Agentur Mosfilm wollte, dass Akira Kurosawa (1910-1998) für sie tätig würde, und Dersu Usala erhielt 1976 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

Bei hrer Expedition stösst die Gruppe 1902 auf einen Waldläufer, den kleinen, krummbeinigen und dicklichen Dersu Usala, der zu den Nanai gehört, einer ethnischen Minderheit in China. Dersu wird rasch engagiert und ebenso rasch bewundert, weil er jede Fährte lesen kann, das Wetter kennt und einer ist, den man braucht, wenn man in der Wildnis überleben will. Der leitende Geograf, den Dersu immer nur mit »Capitan« tituliert, ist froh über diese Hilfe. Dersu gewinnt Autorität, auch wenn er Russisch nur radebrecht. Nach einigen Abeneteuern gehen sie auseinander, und der Abschied fällt den Russen schwer; vor allem der Capitan gewann Dersu lieb.

Schönes Bild: Die beiden Freunde haben wieder einmal überlebt. Maxim Munsuk als Dersu, Juri Solomin als der Capitan

Schönes Bild: Die beiden Freunde haben wieder einmal überlebt. Maxim Munsuk als Dersu, Juri Solomin als der Capitan

 

Im zweiten Teil finden die beiden 1907 wieder zueinander. Sie wollen einen See erreichen. Dersu verhehlt nicht, dass er Angst hat, doch der Capitan schlägt die Warnung in den Wind (die Intuition des Naturmenschen sollte man immer ernst nehmen). Dann kommt ein Sturm auf, es wird bitterkalt, und Dersu und der Geograf schneiden im Akkord Binsen ab und türmen sie aufeinander, um sich in diesem Bunker aus Gesträuch vor der Kälte zu schützen. So rettet Dersu seinem Capitan das Leben, und nicht nur einmal. Der Taigajäger trifft dann einen Tiger mit der Kugel, wird nervös und nervöser, und schließlich merkt er, dass sein Augenlicht nicht mehr gut ist. Wie soll er im Wald überleben? Der Capitan bietet ihm an: »Mein Haus ist dein Haus.«

So kommt Dersu Usala in der Stadt zu leben. Der Geograf wohnt mit seiner Frau und dem kleinen Sohn gutbürgerlich, doch Dersu versteht nicht, wie man »in einer Schachtel« (einem Wohnraum) sitzen mag. Er muss weg. Sein Gastgeber schenkt ihm noch eine neue Flinte, mit der immer treffen sollte, die ihm aber schließlich, bittere Ironie, den Tod bringt: Jemand überfällt Dersu, raubt ihm das Gewehr und tötet ihn. Der Capitan steht an seinem Grab im Wald und stöhnt: »Dersu!«

Es ist die Geschichte einer Freundschaft zweier Männer, die sich ergänzen, die gemeinsam alles schaffen könnten: der Naturmensch und der gebildete zivilisierte Bürger. Ihre Zuneigung ist tief, nur trennt sie ihr Herkommen. Wenn man etwas über den Film liest, heißt es immer, dass beide sich dennoch fremd bleiben, und man wird den Verdacht nicht los, dass dieses Urteil gedankenlos wiederholt wurde. Die Herzen des Capitan und von Dersu sprechen dieselbe Sprache, doch kann der eine in der Umwelt des anderen nicht leben. Das ist die Tragik.

 

 

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