Hoss, die Oberpfeife

Unterallgäuer Originale! Auf meiner Bayern-Reise lernte ich innerhalb von 30 Minuten zwei von ihnen kennen. Hat mich gefreut! Hoss und Dietle wandten sich mir zu, und ich fühlte mich geehrt. Ein besonderer Landstrich, das Allgäu.

Ich entschloss mich sieben Kilometer vor Memmingen, den Zug nach Kaufering zu nehmen. Fuhr in das Dorf Heimertingen ein, und von links näherte sich ein Honda-Kleinmotorrad mit viel Chrom und gepflegtem Motor. Darauf saß ein dicklicher glatzköpfiger Mann, der mich beiseite nahm, um mir den Weg nach Memmingen Bahnhof zu erklären.

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Doch dann erklärte er sich selbst und überreichte mir eine Visitenkarte. Er nenne sich Hoss die Oberpfeife – Hoss wegen seines Aussehens, Oberpfeife, weil er Flöte spiele. Er redete druckreif und wie ein Lehrer und schilderte mir die Lage der Dörfer ringsum zur Zeit der Bauernkriege um 1525. Hier Katholiken, dort Reformierte, Juden in dem Dorf Fellbach, Landesfürsten und Kleriker. Unterallgäu bei Memmingen hat als Hauptstadt Mindelheim (mit dem Autokennzeichen MN), weiter östlich gelegen und jenseits von Memmingen, komisch.

Hoss erzählt dies alles bei traditionellen Veranstaltungen, die allerdings neun Monate nicht veranstaltet werden konnten, aus dem 2021-07-04-0001bekannten Grund. Und da war einer, der nichts wusste; also holte er aus, erzählte eine Anekdote und noch eine und verehrte mir sogar eine Freikarte fürs städtische Bordell, gültig fürs 16. Jahrhundert, nicht übertragbar und nicht benutzbar an protestantischen Feiertagen.

 

Dann riss ich mich los, und er ließ mich ziehen. In Memmingen sieben Minuten Zeit, de Automaten eine Fahrkarte zu entlocken und das Rad in den nächsten Zug nach München zu schieben. Da empfing mich, staunend über mein Gepäck, Dietle mit seiner Freundin und hielt mir gleich ein Chiemsee Hell hin. Ich nahm es, denn ich hatte Durst.

Dietle nannte sich einen »Separatista«, anscheinend war er für die Autonomie des Allgäus, und sagte, in Bayern gäbe es die arroganten Altbayern, die Franken, die Schwaben und die Eingewanderten. Er sei Schwabe. Seine Freundin grinste. Sie kannte und mochte ihn, der ganz anders als Hoss schmal war, sogar drahtig. Beide hatten Räder dabei, und leider verließen sie in Mindelheim den Zug.

Wie hieß dieser legendäre Allgäu-Film aus den 1980-er Jahren? »Daheim sterben’d Leut.« Und der Roman Die Strecke von Gerhard Köpf fiel mir ein. Literatur und Sagengut sind auf Oberbayern konzentriert, die Allgäuer haben’s schwer. Aber sie sind dickköpfig und eigensinnig, sie bleiben bei sich, und das ist sympathisch.

 

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