So litten die Menschen

Der dreißigjährige Krieg war noch zu Schillers Zeit um 1800 ein Trauma, da er erst eineinhalb Jahrhunderte zurücklag. Deutschland war verwüstet worden, die Bevölkerung um die Hälfte dezimiert. Die Hintergründe und Wendungen des Kriegs sind äußerst kompliziert; wenden wir uns den Leidtragenden zu, den Menschen auf den Dörfern und in den Städten.

Friedrich Schiller hat alles auf einer Seite zusammengefasst mit einer Wortgewalt und einer Meisterschaft, die seinesgleichen sucht. Die Seite 214 von den 250 muss ich zitieren, diese eine: da steht der ganze Jammer schwarz auf weiß.

Und wirklich war das Elend in Deutschland zu einem so ausschweifenden Grade gestiegen, dass das Gebet um Frieden von tausendmal tausend Zungen ertönte, und auch der nachteiligste noch immer für eine Wohltat des Himmels galt. Wüsten lagen da, wo sonst tausend frohe und fleißige Menschen wimmelten, wo die Natur ihren herrlichsten Segen ergossen und Wohlleben und Überfluss geherrscht hatte. Die Felder, von der fleißigen Hand des Pflügers verlassen, lagen ungebaut und verwildert, und wo eine junge Saat aufschoss oder eine lachende Ernte winkte, da zerstörte ein einziger Durchmarsch den Fleiß eines ganzen Jahres, die letzte Hoffnung des verschmachtenden Volkes. Verbrannte Schlösser, verwüstete Felder, eingeäscherte Dörfer lagen meilenweit herum in grauenvoller Zerstörung, während dass ihre verarmten Bewohner hingingen, die Zahl jener Mordbrennerheere zu vermehren, und, was sie selbst erlitten hatten, ihren verschonten Mitbürgern schrecklich zu erstatten. Kein Schutz gegen Unterdrückung, als selbst unterdrücken zu helfen.

Die Städte seufzten unter der Geißel zügelloser und räuberischer Besatzungen, die das Eigentum des Bürgers verschlangen, und die Freiheiten des Krieges, die Lizenz ihres Standes, und die Vorrechte der Not mit dem grausamsten Mutwillen geltend machten. Wenn schon unter dem kurzen Durchzug einer Armee ganze Landstrecken zur Einöde wurden, wenn andre durch Winterquartiere verarmten, oder durch Brandschatzungen ausgesogen wurden, so litten sie doch nur vorübergehende Plagen, und der Fleiß eines Jahres konnte die Drangsale einiger Monate vergessen machen. Aber keine Erholung wurde denjenigen zuteil, die eine Besatzung in ihren Mauern oder in ihrer Nachbarschaft hatten, und ihr unglückliches Schicksal konnte selbst der Wechsel des Glücks nicht verbessern, da der Sieger an den Platz und in die Fußtapfen des Besiegten trat, und Freund und Feind gleich wenig Schonung bewiesen.

Die Vernachlässigung der Felder, die Zerstörung der Saaten, und die Vervielfältigung der Armeen, die über die ausgesogenen Länder daherstürmten, hatten Hunger und Teurung zur unausbleiblichen Folge, und in den letzten Jahren vollendete noch Misswachs das Elend. Die Anhäufung der Menschen in Lägern und Quartieren, Mangel auf der einen Seite und Völlerei auf der andern brachten pestartige Seuchen hervor, die mehr als Schwert und Feuer die Länder verödeten. Alle Banden der Ordnung lösten in dieser langen Zerrüttung sich auf, die Achtung für Menschenrechte, die Furcht vor Gesetzen, die Reinheit der Sitten verlor sich, Treu und Glaube verfiel, indem die Stärke allein mit eisernem Zepter herrschte; üppig schossen unter dem Schirme der Anarchie und der Straflosigkeit alle Laster auf, und die Menschen verwilderten mit den Ländern. Kein Stand war dem Mutwillen zu ehrwürdig, kein fremdes Eigentum der Not und der Raubsucht heilig.

Der Soldat (um das Elend der Zeit in ein einziges Wort zu pressen), der Soldat herrschte, und dieser brutalste der Despoten ließ seine eigenen Führer nicht selten seine Obermacht fühlen. Der Befehlshaber einer Armee war eine wichtigere Person in dem Lande, worin er sich sehen ließ, als der rechtmäßige Regent, der oft dahin gebracht war, sich vor ihm in seinen Schlössern zu verkriechen. Ganz Deutschland wimmelte von solchen kleinen Tyrannen, und die Länder litten gleich hart von dem Feinde und von ihren Verteidigern. Alle diese Wunden schmerzten um so mehr, wenn man sich erinnerte, dass es fremde Mächte waren, welche Deutschland ihrer Habsucht aufopferten, und die Drangsale des Krieges vorsätzlich verlängerten, um ihre eigennützigen Zwecke zu erreichen. Damit Schweden sich bereichern und Eroberungen machen konnte, musste Deutschland unter der Geißel des Krieges bluten; damit Richelieu in Frankreich notwendig blieb, durfte die Fackel der Zwietracht im Deutschen Reiche nicht erlöschen.

 

Geschafft! Wir merken uns: Das Elend jenes Krieges heißt bei Schiller, wenn wir es auf ein Wort reduzieren, Soldat. Tausendköpfige Heere wurden aufgestellt, Werber trieben junge Männer zusammen, aber oft gab es keinen Sold. Plötzlich merke ich, dass der Soldat vermutlich von diesem Sold kommt: ein Mann, der besoldet wird und dafür töten soll. Soldaten sind potenzielle Mörder, ganz klar. Vermutlich waren sie in Erregung und steckten einander an, sie vergaßen sich und rechtfertigten sich vielleicht vor ihrem Gewissen, dass es schon in Ordnung sei: sind Feinde, ich muss auch sehen, wo ich bleibe, ein bisschen Spaß muss sein, die Landleute sind eh Dreck. Und das war im 17. Jahrhundert, was keine Entschuldigung ist. 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.