Eindringliches

Bin auf einen Gedanken gestoßen. Hey! Irgendwie kommt manipogo auch nach fast neun Jahren nicht vom Fleck, die Abrufzahlen stagnieren. Ich muss weniger Text schreiben und mehr Bilder bringen; vielleicht kann ein Blog das sein, was früher das Tagebuch des (nicht Bücher schreibenden) Schriftstellers sein, der um des Denkens willen denkt. Statt Buch nur Fragmente; das Buch heißt manipogo, work in progress.

Alan Ramos Clinton schrieb in The Mechanical Occult 2004:

Man könnte sagen, dass ein Foto zu schießen ― oder andere Formen des Automatismus zu praktizieren ― bedeutet, zur Einmischung (intrusion) einzuladen. Wenn man ein Blatt Schreibppapier oder ein Fotopapier als Rahmen betrachtet, dann tendieren beide Praktiken dazu, unvorhersehbare Elemente in diese Rahmen einzuführen.

Unfälle: In solchen Fällen sind Unfälle (accidents) wirklich zufällig (accidental) als unerwünschte Folgen des kapitalistischen Einsatzes von Geschwindigkeit. Im rhetorischen Automatismus sind Unfälle erwünscht. Mit welchen Mitteln auch immer man versucht, rhetorische Unterbrechungen zustandezubringen, so ist das unweigerliche Resultat das Schreiben von Fragmenten.   

Rhetorischer Automatismus heißt reden, was herauskommt und sich überraschen zu lassen.

Während die Surrealisten Spiele erfanden, die auf dem Zufall basierten, was Talent in der Erzeugung von Kunst bedeutungslos werden ließe, fetischisierte Eliot eine Art Kontrolle, die nur von einem Gott erreicht werden kann oder von einem hoch entwickelten Modernisten.

Thomas Stearns Eliot, 1938 mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt, war ein hoch bewusster Autor, der alles durchkalkulierte. André Breton und Paul Éluard dagegen schrieben Die Unbefleckte Empfängnis in 14 Tagen und schauten einfach, was herauskam, schrieben ziellos wie die Verrückten.

Die heutige Gesellschaft strebt nach totaler Kontrolle, doch immer wieder geht das schief. Die Technik ist nicht fehlerfrei, es gibt zu viele Unwägbarkeiten, und dennoch herrscht das ewige Streben nach Perfektion, was vielleicht die einzige metaphysische Komponente in der Zivilisation darstellt. Die einzige Lösung wäre, eine Art Grauzone zuzulassen, um Unerwünschtes einzuladen und gleichzeitig abzufangen.

Wie das geht, weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass man, will man einen Geist ablichten, nicht zu viel Licht benutzen und nicht zu scharf hinschauen darf. Auch der Tücke im System muss man eine Chance geben und ihr einen Raum eröffnen. Find the Gap statt Mind the Gap!

Das gilt für die Kunst und die Lebensführung und ist kein Widerspruch zu dem Wunsch, in jeder Sekunde achtsam zu sein und seine Gedanken zu kontrollieren, wie der Buddhist das will. Man muss eben instinktiv wissen, wann man die Kontrolle aufgibt. Ich tue es beim Schreiben eines manipogo-Beitrags. Da habe ich einen Rahmen aus Intention, Fakten und Zitaten, fange an und lasse es einfach laufen. Manchmal bin ich hinterher selber überrascht, wie das Material (oder was immer) sich selber gestaltete. Ich könnte nicht sagen, dass es »anders« herauskam, weil ich keine Vorstellung habe, was genau herauskommen soll. So muss das sein. (Nichts muss sein. Sagen wir besser: So ist es schön.)

 

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