Trubel auf dem Zauberberg

Walpurgisnacht heißt das schönste Kapitel im Roman Zauberberg von Thomas Mann, 1929 geschrieben. Hans Castorp, der Held, ist seit sieben Monaten bei denen oben auf dem Berg, im Lungensanatorium »Berghof« Nähe Davos, und die Kranken blühen auf: Die Fasnacht setzt ein, die woanders Fasching oder Karneval heißt.

Da dürfen denn die Anspielungen auf die Klassische Walpurgisnacht nicht fehlen, die Goethe im zweiten Teil des Faust gestaltet hat. Schon zu Beginn schickt der Italiener Settembrini einen mit Bleistift geschriebenen Zettel zu Castorps Tisch herüber mit einem Zitat aus dem Stück:  

Allein bedenkt! Der Berg ist heute zaubertoll,
Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
So müsst Ihr’s so genau nicht nehmen.

Hans Castorp ist ja in die Russin Clawdia Chauchat verliebt, und sie hat ihren Auftritt. Sie trägt ein Kleid »aus leichter und dunkler, ja schwarzer, nur manchmal ein wenig goldbräunlich aufschimmernder Seide, das am Halse einen mädchenhaft kleinen Rundausschnitt zeigte, kaum so tief, dass die Kehle, der Ansatz der Schlüsselbeine und hinten die bei leicht hervorgeschobener Kopfhaltung etwas heraustretenden Genickwirbel unter dem lockeren Nackenhaar sichtbar blieben, das aber Clawdia’s Arme bis zu den Schultern hinauf frei ließ …« 
 

Castorp schließt die Augen und flüstert in sich hinein: »Mein Gott!« (Ich erinnere mich, dass ich vor zwei Jahren, auf einer Radtour in Cassino Station machend, in einem Café saß; zwei Mädchen kamen vorbei, von denen eine wunderschön war, und als sie nur ihren Kopf herumwarf, war das so überirdisch, dass ich spontan auch einen Ausruf tat; vielleicht rief ich auch: »Mein Gott!«) 

Es wird auf dem Berghof geplaudert, dann treten Masken auf, Frau Chauchat hat auch eine Faschingsmütze auf dem Kopf, und Settembrini sagt, Castorp solle sie gut ansehen: Lillith, angeblich Adams erste Frau nach der hebräischen Legende, die allen Männern gefährlich werde … Sie wollte, sagt man, beim Geschlechtsverkehr oben sein, wurde aber (deshalb?) in die Unterwelt verbannt. (Kürzlich tanzte eine Araberin in Freiburg ihr Stück »Lilith«, leider gab es keine Karten mehr, aber die Tänzerin war Lamia Safieddine, aus Paris; und was für ein Name, die Lamien waren in der griechischen Mythologie weibliche vampirähnliche Ungeheuer, die junge schöne Männer aussaugen. Dazu The Lamb Lies down on Broadway von Genesis! Ein Stück darauf heißt The Lamia.)  

Dann wird auf dem Zauberberg mit Bleistiften gezeichnet, harmloses Vergnügen, und Castorp findet keinen passenden Stift, und so tritt er tollkühn auf Frau Chauchat zu und spricht die legendären Worte: »Hast du nicht vielleicht einen Bleistift?« Das ist Anmache à la Thomas Mann, und es gelingt; die beiden kommen zusammen, eine räumliche Annäherung gibt es, und das Fest geht allmählich zu Ende, die Räume leeren sich, während die beiden nebeneinander sitzen und sich austauschen. Das machen sie lange, über einige Seiten, vorwiegend auf Französisch.  

Vielleicht hatte Castorp getrunken, was nie schaden kann, jedenfalls kniet er sich vor seine Angebetete. »›Je t’aime‹, lallte er, ›je t’ai aimée de tout temps, car tu es le Toi de ma vie, mon rêve, mon sort, mon envie, mon éternel désir …‹« Er liebt sie, hat sie die ganze Zeit geliebt, denn sie ist das Du seines Lebens, sein Traum, seine Lust, sein ewiges Begehren … Sie streichelt ihn. Wirklich, er liebe sie? Der »petit bourgeois«, wirklich? Hans Castorp ist fassungslos, und aus einem Reflex heraus beginnt er zu reden und liefert eine Rede ab über die Liebe und den Tod und die Schönheit des Körpers, wieder auf Französisch (eine Seite im Buch), das ist ganz deutsch, beeindruckt Clawdia aber nicht.        

Sie erträgt den Monolog, setzt ihm dann eine Papiermütze auf und sagt: »Adieu, mein Karnevalsprinz!« Und dann »glitt sie vom Stuhl, glitt über den Teppich zur Tür, in deren Rahmen sie zögerte, halb rückwärts gewandt, einen ihrer nackten Arme erhoben, die Hand an der Türangel. Über die Schulter sagte sie leise: ›N’oubliez pas de me rendre mon crayon.‹ Und trat hinaus.«  

Ende des Kapitels. Auch die Fasnacht ist zu Ende. Er soll ihr also den Bleistift zurückgeben. Das Versprechen eines künftigen Treffens? So endet das immer.

 

 

 

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