Die Nashörner

Aus ähnlicher Zeit (um meine Geburt) wie Asche und Diamant datiert das Theaterstück Die Nashörner von Eugène Ionesco (1909-1994). Es wurde am 31. Oktober 1958 uraufgeführt, und zwar auf Deutsch in Düsseldorf, bevor es am 20. Januar 1960 erstmals auf Französisch gezeigt wurde. Rhinocéros heißt es dort. Das sind nun Tiere, mit denen man wenig zu tun hat. Wer wäre gern ein Rhinozeros?

IMG_0261Und doch verwandeln sich einige Menschen in Nashörner, dann viele, schließlich fast alle. Es beginnt in einer Bar in Paris, in der Bérenger und Jean ein Nashorn vorbeirennen sehen. Allgemeine Bestürzung. Dann das Büro Bérengers, ein Verlag. Niemand glaubt seine Geschichte, nur Daisy, die junge blonde Angestellte. Sie hat das Tier auch gesehen. Die anderen zweifeln:

Botard: Ihr Rhinozeros ist ein Mythos!
Daisy: Ein Mythos? (…)
Botard: Ein Mythos, ganz wie die Fliegenden Untertassen. (…)
Daisy: Na gut, ich, ich glaube an die Fliegenden Untertassen!

Und dann wird unendlich herumgequatscht. Mit dem angeblichen Rhinozeros fing es an, und dann diskutieren die drei Angestellten und ihr Chef die Moral und Gott und die Natur, und dieses überhebliche Dahinsprechen scheint eine Sache der Männer zu sein, und haben wir in der Corona-Epoche nicht auch unendliche sinnlose Debatten erlebt, wahre Debakel für den Intellekt? Das Stück ist aktuell, denn Dudard meint, es könne ja eine Krankheit sein, dass Menschen sich in Nashörner verwandeln.

Nashorn in Zürich, Bahnhofstrasse. Tatsächlich!

Nashorn in Zürich, Bahnhofstrasse. Tatsächlich!

Bérenger: Richtig, ich habe Angst vor der Ansteckung. (…)
Dudard: Es bleibt die Hypothese der Epidemie. Das ist wie die Grippe. Epidemien hat man schon erlebt.
Bérenger: Sie waren niemals wie diese hier. Und wenn sie von den Kolonien käme? (…) Ich frage mich, ob ich immun dagegen bin.
Dudard: Jedenfalls ist sie nicht tödlich. Es gibt Krankheiten, die gesund sind. Ich bin überzeugt, dass man davon geheilt werden kann, wenn man will. Es geht vorbei, kein Problem.

Bérenger besucht Jean, um sich mit ihm nach dem letzten Streit zu versöhnen. Doch Jean verwandelt sich in ein Nashorn und galoppiert davon, trompetend. Im dritten Akt taucht Daisy auf und kümmert sich um Bérenger, der seit langem in sie verliebt ist. Draußen Gestampfe und Herumtrompeten, die ganze Welt hat sich anscheinend in Nashörner verwandelt. Die beiden schwören sich ihre Liebe und wollen aushalten.

IMG_0259Doch es ist absurdes und zugleich lebensechtes Theater: In der dramatischen Situation hält ihre Liebe nicht stand. Bérenger lässt sich zu leidenschaftlichen Liebesschwüren hinreißen, die letztlich nichts als Worte bleiben. Männer und ihr leeresa Pathos! Daisy holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück, beruhigt und entzaubert ihn gleichzeitig. Das sind wunderbare Dialoge. Es wurde ja versucht, das Stück als Lehrstück gegen den Totalitarismus zu verstehen: Daisy wiegelt ab, Bérenger ist der einzige Kämpfer. Aber er ist ein schrecklicher Schwätzer, der einen nervt. Nur Daisy bleibt cool.

Bérenger: Du bist stärker als ich. Du wirst dich nicht einschüchtern lassen. Für deinen Mut bewundere ich dich.
Daisy: Das hast du mir schon gesagt.
Bérenger: Bist du dir meiner Liebe sicher?
Daisy: Aber ja.
Bérenger: Ich liebe dich.
Daisy: Du wiederholst dich, mein Liebling.
Bérenger: Hör zu, Daisy, wir können etwas tun. Wir wrden Kinder haben, unsere Kinder werden wieder andere haben, das wird einige Zeit dauern, aber wir beiden können die Menschheit regenerieren.
Daisy: Die Menschheit regenerieren?
Bérenger: Das ist schon einmal geschehen. (…)
Daisy: Ich will keine Kinder haben. Das langweilt mich.
Bérenger: Wie willst du dann die Welt retten?
Daisy: Wieso sie retten wollen?

Daisy sagt, sie schäme sich dieses morbiden Gefühls der Liebe, dieser Schwäche. Was sei das angesichts der Energie dieser Wesen, die sie umgäben? Bérenger rastet aus: »Energie? Wenn du Energie willst, bittesehr!« Er gibt ihr eine Ohrfeige. Sie erholt sich. Die Nashörner singen, sagt sie. Sie trompeten, behauptet er. Sie seien Götter, flötet Daisy. Sie solle nicht übertreiben, meint ihr Partner. Er solle nicht eifersüchtig sein, mahnt sie, und bösartig solle er auch nicht sein. Und sie solle nicht dumm sein, gibt er zurück. Das gemeinsame Leben sei unmöglich, sieht der Mann, der vorher schon erkannt hatte: »Schade! In wenigen Minuten haben wir sowas wie fünfundzwanzig Jahre Ehe durchlebt.« Daisy geht weg und wiederholt: »Er ist nicht nett, nein, er ist nicht nett.« Dann monologisiert Bérenger noch endlose drei Seiten und schwört, er wolle durchhalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

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