Happier than any man

Die Titelzeile ist aus einem Gedichtband von Derek Walcott, Weiße Reiher (2010) . Ich lese gern darin, weil es fein hingetupfte Impressionen aus der Karibik sind, wo der mittlerweile 83-jährige Autor und Literatur-Nobelpreisträger (1992) daheim ist. Da wäre man auch gern daheim, auch wenn er einem manchmal leid tun kann, weil er nicht weiß, wie schön es ist, nachts mit dem Schneeland vor dem Fenster.

Aber dann: »Die Schiffsrümpfe weißer Yachten, schaukelnd im orangenen Wasser / der Marina zur Dämmerung, und unter dem Bugspriet das Glucksen / der Kette in der fleckigen See; dorthin musst du gehen …« (Gedicht 53.) Übersetzt hat das einfühlsam Werner von Koppenfels, und die zweisprachige Ausgabe stammt von Carl Hanser in München.  

Hier, im Februar, draußen Laternenschein, Kerzenschein drinnen und das Summen des Computers, und natürlich wäre es jetzt schön, wenn hinten auf meinem breiten Bett sich eine ephebenartige Gestalt räkeln würde in Erwartung meiner; aber schon schreibt man nicht unbelastet, man fühlt sich getrieben, man will ja zu IHR, aber man kann nicht alles haben.  

»… und erst die Frauen, die Frauen!« schwärmt Frauenliebhaber Walcott in seinem Gedicht Auf Capri. »Schwer, sie so / und nur so zu sehn, beispielsweise die hier, / im Schatten unter der Ladentür, auf den ersten Blick / bloß ein gebräuntes Mädchen, Proserpina an Frühlings Portal.« 

Es ist immer so zwiespältig. T. S. Eliot (1888-1965) weiß das. In seinem Gedicht Ash Wednesday (Aschermittwoch), das ich dann doch nicht behandeln wollte, schwärmt er zwar auch:  »Lady of silence / Calm and distressed / Torn and most whole / Rose of memory …« Die Rose ist der Garten, wo alle Lieben enden. »Terminate torment / Of love unsatisfied / The greater tormernt / Of love satisfied.« Das terminate ergibt keinen Sinn, mit torment kombiniert aber klingt es gut; sagen wir einfach: »begrenzte Qual unerfüllter Liebe / größere Qual erfüllter Liebe.« Ach wir Elenden, die wir nie zufrieden sind! Mit unseren paradoxen Leben, mit dem »Ende der endlosen / Reise zu keinem Ziel«, der »Sprache ohne Wörter und / Wörter ohne Sprache«! 

Der gute Walcott in der Karibik schaut sich an, wie die Sterne herauskommen, »um den Abend sterben zu sehen. / In dieser orangenfarbenen Stunde liest sich das Licht wie Dante«, und »ein kleines Boot schreibt seine Zeilen nach dem sparsamen / Versmaß der Ruderschläge«, ja, Dante Alighieri, der ohne Beatrice nie sein unsterbliches Werk geschrieben hätte, vielleicht es aber eingetauscht hätte für ein Leben mit ihr, die früh starb, wenn wir der Geschichte trauen wollen. (Fotos: Jürgen Kuntke)  

Der karibische Dichter schaut sich weiter um, findet, durch das Versmaß gebannt, kaum Worte und träumt: »Glücklicher ist hier / als alle andren der zu nennen, der sich hinsetzt, Wein zu trinken / mit der lebenslang vertrauten Gefährtin unter dem Gezwinker / der Sterne und dem steten Licht der Bogenlampe am Ende des Piers.« Ja, so traumhaft! Aber dann schaute ich mir den Vers genauer an und kam von dem Eindruck nicht mehr los, dass die schöne Passage ironisch gemeint sei. Auch Walcott glaubt natürlich nicht an dieses Idyll.  

Ich glaube, dass Walcott den Reim absichtlich platt wählte, damit es kitschig und unglaubhaft wirken sollte: »… Happier /than any man now is the one who sits drinking / wine with his lifelong companion under the winking / stars and the steady arc lamp at the end of the pier.« Jemand, der seit 50 Jahren Gedichte schreibt, reimt nicht ohne Grund happier auf pier und drinking auf winking. Das nennen die Engländer »tongue in cheek«, das ist leichter Sarkasmus und Hohn, und sie sind angebracht, denn wir kennen uns ja und unser Leben.    

 

 

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