Lob der Dunkelheit

Wir sprechen immer vom Licht, dem liebenden, das uns dereinst einhüllen wird. »Ein Sonnenstrahl reicht hin, viel Dunkel zu erhellen«, sagte der heilige Franz. Das Dunkle wird verabscheut und gefürchtet. Oft ist es nur metaphorisch gemeint: das Dunkel des Nichtwissens. Nun im November nimmt die konkrete Dunkelheit zu, es wird immer früher Nacht, doch ist sie nicht auch wohltätig und hüllt uns ein wie das Licht? Wir sind geborgen.

IMG_0108Wir sehen wenig bis nichts, das irritiert, und wir wissen nicht, wer sich die Nacht zunutze macht, um Böses zu planen. Andere machten sich die Nacht zunutze, um der Liebe zu pflegen, wie der manipogo-Beitrag Werke der Dunkelheit über die Nacht im Mittelalter ausführlich erzählt. Im Dunklen und im Halbdunkel wagt man mehr als im grellen Licht der Sonne. Alles ist milder und weicher, und die Liebesworte klingen bedeutend. Ein Drittel des 24-Stunden-Tags findet ohne Beleuchtung statt, und im Koran heißt es (Sure XL, 61.), Er habe die Nacht erschaffen, damit wir uns erholen könnten (allayla litaskunoo — Layla ist die Nacht), und zudem bleiben in diesem schönen Kokon aus Schwärze die Gedanken gut beieinander, man ist konzentriert.

staufenEnlightenment nennen die Englischsprachigen die Aufklärung: Erleuchtung also. Das Jahrhundert der Aufklärung ist bei den Franzosen das siècle de lumière, das Jahrhundert des Lichts. Wer dumm ist oder arm, lebt gewissermaßen in ewiger Nacht. Es ist also eine Ehrenrettung der Nacht und der Dunkelheit nötig und des Schattens, den wir laut C. G. Jung in unser Leben integrieren müssen, weil er unsre dunkle Seite darstellt. Das Licht der Sonne wird als männlich betrachtet, Mond und die Nacht gelten als weiblich: empfangend, passiv, aber auch heilend. Rachel Remen traf zwei Männer und eine Frau, die sich mit der Dunkelheit herumschlugen — mit überraschendem Ausgang.

Der Vertreter Steve hatte Krebs und nannte die Krankheit »dieses schwarze Loch mitten in meinem Leben, das mich verschlingen will«. Die Therapeutin fragte Steve, was in dem Loch sei, und er erwiderte: »Nur Dunkelheit.« Er solle sich mal darauf konzentrieren, solle sich in der Vorstellung einfach aufsaugen lassen, schlug sie vor. Der Patient nahm Dunkelheit wahr und sagte, er schwebe.

Die Dunkelheit ist sehr weich … sanft … Sie hält mich. Ich vermisse hier nichts. (…) Ich bin ruhig, völlig ruhig. Jede Zelle ist ruhig. Jede Zelle ist offen. Ich tanke auf … tanke Lebensenergie. Ich konnte bisher nicht auftanken, weil ich mich nicht öffnen konnte … In der Dunkelheit kann ich mich öffnen.

Der zweite Mann sagt auf die Frage, was er zu seiner Heilung bräuchte: »Nichts.« Rachel Remen ließ nicht locker und fragte, wie sich dieses Nichts anfühle. »Unendliche Dunkelheit«, bekam sie zur Antwort, und als sie ihn bat, das Nichts zu visualisieren, sprach er fast wie Steve: Er sei eingehüllt in Dunkelheit, und sie sei weich und zart. Er fühle sich hier geborgen. Er könne sich entspannen; er spüre hier keinen Schmerz keinen Hunger, kein Bedürfnis.  —Eine Krebspatientin erzählte von einem Traum, in dem ihr eine dunkle Gestalt einen Umhang über den Kopf warf. Sie schlug um sich, aber da war nur Dunkelheit. Es sei vollkommen schwarz gewesen und absolut ruhig, samten, weich.

Ich schwebe in einer endlosen Dunkelheit. Schwebe … Ich bin frei. Es gibt keine Schwerkraft. Mein Körper schmerzt nicht mehr. (Lange Pause.) Die Dunkelheit ist wie die Liebe. Es ist sehr, sehr schön hier. Ich werde akzeptiert, wie ich bin. Niemand kritisiert mich. Ich mache nichts falsch. Ich … bin ich. 

 

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