Der Ätti sieht schwarz

Der alemannische Dichter Johann Peter Hebel (1760-1826), den Goethe schätzte, war mit seinen Werken immer Schullektüre. Alte Menschen können einige seiner Gedichte auswendig. Doch dann warf Hebel wieder Dinger aufs Papier, die man Kindern nicht zeigen darf, so düster und existentialistisch sind sie. Das Gedicht Die Vergänglichkeit weist auf eine Zukunft und eine Welt hin, die die endgültigen Klimakatastrophe hinter sich hat.

staufenVor 200 Jahren schrieb Johann Peter Hebel diesen Dialog zwischen einem Buben und seinem Großvater, dem Ätti. Sie unterhalten sich, wie es im Untertitel heißt, in der Nacht auf der Straße zwischen Steinen und Brombach, denn sie sind unterwegs nach Basel. Der kleine Junge hat etwas auf dem Herzen. Er kennt die Ruine der Burg von Rötteln bei Lörrach und fragt sich nun, ob sein Elternhaus dereinst auch so aussehen werde. Der Großvater macht ihm nichts vor.

Du gute Burst, ’s cha friili si, was meinsch?
’s chunnt alles jung und neu, und alles schliicht
sim Alter zu, und alles nimmt en End,
und nüt stoht still. (…)

DSCN4572Alles schleicht dem Alter zu. Er selber, der Ätti, bewege sich auf den Kirchhof zu (i gang im Chilchhof zu), und wenn der Bub e gstandne Ma sei, dann sei er nicht mehr da: se bini nümme do. Und auch Basel werde vergehen, es schlage einmal die Stunde, »goht Basel au ins Grab«, und Holder und Moos und Farne wachsen darauf, und ein Wanderer sage seinem Kameraden, der Turm da unten sei die Peterskirche gewesen:

Lueg, dört isch Basel gstande! Selle Turn
seig d’Peterschilche gsi, ’s isch schad derfür!

nightDer Bub, entsetzt: »Es cha nit si!« (Es kann nicht sein!) Der Ätti malt die Katastrophe genüsslich aus: Der Himmel steht im Blitz, die Welt im Glast, alles entzündet sich, es brennt und brennt, und niemand löscht. Wo dann die Leute seien, fragt der Bub. Das sagt der Ätti nicht und brennt ein denkwürdiges Finale ab mit moralischem Unterton und Jenseitshoffnung, und das lesen wir jetzt, übersetzt wird es hinterher:

He, d’Lüt sind nümme do, wenn’s brennt, sie sin —
wo sin sie? Seig du frumm, und halt di wohl,
geb, wo de bisch, und halt di Gwisse rein!
Siehsch nit, wie d’Luft mit schöne Sterne prangt!
s’isch jede Stern verglichlige ne Dorf,
und witer obe seig e schöni Stadt,
me sieht si nit vo do, und haltscht di gut,
se chunnsch in so ’ne Stern, und s’isch der wohl,
und findsch der Ätti dort, wenn’s Gottswill isch,
und’s Chüngi selig, d’Mutter. Obbe fahrsch
au d’Milchstroß uf in die verborgeni Stadt,
und wenn de sitwärts abe luegsch, was siehsch?
e Röttler Schloß! Der Belche stoht verchohlt,
der Blauen au, as wie zwee alti Türn,
und zwischen drinn isch alles use brennt,
bis tief in Boden abe. D’Wiese het
ke Wasser meh, ’s isch alles öd und schwarz, 
und totestill, so wit me luegt — das siehsch,
und seisch dim Kamerad, wo mitder goht:
»Lueg, dört isch d’Erde gsi, und selle Berg
het Belche gheiße! Nit gar wit dervo
isch Wislet gsi; dört hani au schon glebt,
und Stiere gwettet, Holz go Basel gführt,
und brochet, Matte graust, und Liechtspöh gmacht,
und gvätterlet, bis an mi selig End,
und möcht jez nümme hi.« — »Hüst, Laubi, Merz!«

Wo sind die Leute? Schau die Sterne an, sagt der Ätti, jedes ist wie ein Dorf und weiter oben, nicht zu sehen, ist eine schöne Stadt, und wenn du brav und gut bist, kommst du eines Tages dorthin und triffst vielleicht den Ätti wieder, und wenn du später die Milchstraße entlang fährst und hinunter schaust, siehst du Belchen und Blauen, die beiden höchsten Berge im Südschwarzwald, verkohlt, und der Fluß Wiese ist ausgetrocknet, und totenstill und öde ist es, die Erde eine ferne Erinnerung … Und dann treibt der Ätti sein Pferd an: Hüst, Laubi!

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