Scheibenschlagen

Gestern war in allen Gemeinden der Umgebung das berühmte Scheibenschlagen oder Scheibenfeuer. Bei Einbruch der Dunkelheit wird ein Holzstoß entzündet, und über zwei Rampen schleudern geschickte Menschen mit einem Stab kleine glühende Scheiben hinaus in die Luft. Kinder fingen damit an. Eine Scheibe zischte gefährlich an mir vorbei. Und dann gab es kräftigen Funkenflug: wie hundert Glühwürmchen.

Das ist immer wenige Tage nach Fasnet-Ende, obwohl hier ja Sulzburg (und Basel auch) erst am Sonntag seinen Umzug zelebriert. Ich bin jedenfalls zum Fuß des Castellbergs marschiert, wo ich mit Schwester und Schwager schon am 1. Januar das Neue Jahr begangen hatte. Dieses Mal war ich nicht so in Form. Ich bin manchmal menschenscheu, halte mich von allen fern, und so blieb ich auch nicht lange, obwohl der Geruch nach Bratwurst verlockend war. Die Nacht brach jedenfalls herein.

 

Das Feuer war beachtlich.

 

Die Scheiben sind schwer zu fotografieren, aber zwei habe ich erwischt. Aber vielleicht irre ich mich auch, und es waren Lichter von Häusern. Oder Ufos?  

Immerhin: die Zeit. In den sechs Wochen, die seit Jahresbeginn verstrichen sind, habe ich von meinem Buch über die Zeit, das Ende August fertig sein muss, schon fast ein Drittel geschrieben. Nach meiner Rückkehr in die Klause – andere gingen da erst hoch zum Berg – vertiefte ich mich in eine Passage aus einem Buch von Paul Davies (About Time) und beschrieb das Zwillings-Paradoxon. Ich glaube, das habe ich jetzt verstanden.       

Das geht so: Ich bleibe zu Hause (ist mir lieber), doch der Zwilling (den ich nicht habe) fliegt zu einem Stern, der acht Lichtjahre entfernt ist. Er fliegt mit 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, ist also nach zehn Jahren meiner Zeit dort. Durch die Einsteinsche Zeitdehnung vergehen für ihn nur sechs Jahre; er hat also das Jahr 2019, wenn er ankommt. Ich aber sehe seine Ankunft erst im Jahr 2031, also 18 Jahre später, weil das Licht acht Jahre braucht, um zu mir zurückzukommen und mir seine Ankunft zu zeigen.

Weil er nur sechs Jahre gereist war, also im Jahr 2023 meines Kalenders dort ist und das Licht acht Jahre braucht von mir zu ihm, sieht der Zwilling mich in meiner Vergangenheit, im Jahr 2015. Für ihn sind also sechs Jahre vergangen, für mich – in seinen Augen – nur zwei. Meine Uhr lief drei Mal so schnell wie die seine.    

Beim Rückweg geht es umgekehrt. Mein Zwilling braucht wiederum sechs Jahre, um zurückzukommen, ist also im Jahr 2033 wieder hier, für mich 20 Jahre nach seiner Abreise. Für ihn sind allerdings erst 12 Jahre vergangen, er ist also 12 Jahre jünger als ich. Auf seiner Rückkehr macht er die Erfahrung, dass in seinen sechs Jahren Flug für mich –  in seinen Augen – 18 Jahre vergangen sind, denn er hatte gesehen, dass seine Ankunft für mich im Jahr 2015 stattfand. Er flog sechs Jahre, also lief seine Uhr drei Mal schneller als die meine. Stimmt alles. Ein Hoch auf Einstein!  

So fliegen wir also, zumindest in Gedanken.

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