Rückkehr ins Leben (7): Graf Lavalette

Ich habe mich daran erinnert: Es war ja eine Serie geworden, dass hier und dort jemand glücklich der Hinrichtung entrann. Das heutige Beispiel entstammt dem Roman Das Mädchen von Blois von Alix du Frênes, die, in München behütet und begütert aufgewachsen, im 20. Jahrhunderte nette Unterhaltungsromane schrieb. Gestehe, dass ich glücklich bin wurde ein Bestseller.

Über die Schriftstellerin Alix gibt es leider keine Biografie. Das Buch über das Mädchen aus Blois im Burgund, die auch adelig ist, beginnt 1809. Emilie Beauharnais, das Mädchen, muss nach Paris, wo das Leben spielt, und lernt den Grafen Antoine Lavalette kennen —  unter Napoleon der oberste Chef der Post — und heiratet ihn. Emilie ist nun also Gräfin. Es kommt das Jahr 1815. Napoleon Bonaparte fällt wieder über Frankreich her. Aufgebrochen war er auf der Insel Elba, seinem Exil. 100 Tage wird er wieder regieren, bis die Niederlage in Waterloo (Belgien) ihn ins abermaligen Exil zwingt, die Insel St. Helena, wo er am 5. Mai 1821 sterben wird.

service-pnp-cph-3b40000-3b40000-3b40000-3b40068rDer Postdirektor wird ins Gefängnis gesteckt und sieht der Hinrichtung entgegen. Emilie wird mit Mitte zwanzig Witwe sein. Doch das will sie nicht. Sie unternimmt etwas. Sie erwirbt ein rotes Samtkleid und große Damenschuhe. Damit geht sie ins Gefängnis, zum Wächter Landrajein und wird zu Antoine vorgelassen. Wein hat sie auch mitgebracht. Sie befiehlt ihrem Mann, er möge ihre Kleider anziehen und sich ein Taschentuch vor das Gesicht pressen, als ob sie weine. Er meint, es sei unmöglich. Sie sagt: »Wenn du es nicht tust, Antoine, bringst du mich um.« Das stimmt ihn um. (Illustration: Marie Antoinette wird aus dem Gerichtssaal geführt. Am 10. Oktober 1793 wird sie hingerichtet. Ein Ölbild von J. André Castaigne, 1912. — Dank an Library of Congress, Wash. D. C.)

Der Wärter ist bald betrunken, darum fällt ihm nicht auf, dass die Gräfin größer geworden ist und breiter. Unbehelligt verlässt der Graf Lavalette das Gefängnis, eine Kutsche bringt ihn ins Theater, wo er aus Tarnungsgründen auf der Bühne als Statist mitwirken muss. Dann verliert sich seine Spur. Die ganze Polizei ist ihm auf den Fersen. Emilie, in der Zelle zurückgeblieben, sagt nichts. Man sperrt sie in die kälteste Zelle, in der sie — so hört man später — drei Monate verbrachte. Danach sei sie verrückt geworden und in ein Irrenhaus gesperrt worden.

Bald nach Napoleons Tod wird der Graf begnadigt. Er kehrt nach Paris zurück. Es ist der 14. Januar 1822. Seit über sechs Jahren ist Emilie in der Gewalt der Behörden, doch der Leser hofft. Ihre Tat war sinnvoll, sie hat ihrem Mann das Leben gerettet, also wird sie die paar Jahre ausgehalten haben, klug wie sie ist. Sein Mitreisender in der Kutsche, die Lavalette nach Paris trägt, lässt ihn wissen, dass Emilie jeden Nachmittag zwischen fünf und sechs auf der Rue de Clichy spazierengehe, ohne Begleitung eines Arztes. Die Autorin ist ebenfalls klug, sie belässt es bei Andeutungen. Der Graf sagt nur:

Gibt es in der Rue de Clichy nicht ein Café, vor dem man im Freien sitzen kann? 

Zwar erst im Frühling, sagt sein Begleiter, und er meint, der sei nun ja nicht mehr weit (o ja!), mit etwas Geduld und Talent könne man ihn erwarten.

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Noch ein Fundstück in einem Buch über Begräbnissitten (Funeral Costums von Bertram S. Puckle, London 1926). Der Autor zitiert John Evelyn (1620-1706), der ein von vielen gelesenes Tagebuch geschrieben hatte. Er schrieb schon 1661 in seinem Fumifugium über die Luftverschmutzung Londons und beschrieb den großen Brand 1666, ähnlich wie der Tagebuchautor Samuel Pepys (1633-1703). Hier John Evelyn:

Abendessen bei Sir William Petty, der bekannt geworden war, weil er ein armes Geschöpf wieder ins Leben zurückgebracht hatte, das wegen eines Schwerverbrechens gehängt worden war. Ihr Körper war von den Medizinern für Anatomiestunden angefordert worden, und er legte sie in die Arme einer wärmenden Frau (sicher gebührt ihr ein Teil des Verdienstes), und mit Weingeist und anderen Mitteln brachte er die Verurteilte ins Leben zurück. … Die ganze Geschichte wurde in einem Pamphlet veröffentlicht, das hieß »Nachrichten von den Toten und einen genauen Bericht über die wundersame Rückkehr von Anne Greene, die, hingerichtet am 14. Dezember 1650, weiterlebte und durch die Kuren eines gewissen Arztes heute wieder völlig gesund gworden ist«. 

 

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