Die alte Frau
Die US-Autorin und selbsternannte Hexe Edain McCoy schrieb in ihrem Buch Die keltische Zauberin über die Rolle der Frau in den alten Mysterienkulten. Drei Archetypen gebe es: Jungfrau, Mutter und alte Frau. Letztere hat es schwer; sie wird stiefmütterlich behandelt, da niemand alt sein will. Schauen wir, was Edain herausgefunden hat.
Die Neugier ließ mich nicht ruhen, also suchte ich nach ihrem Namen und fand: Edain McCoy, am 11. August 1957 im US-Bundesstaat Indiana geboren, wird es nicht schaffen, die Erfahrung zu machen, eine alte Frau zu sein.
Sie starb am 21. März 2019 an der Grippe (ein Jahr vor Corona), 61 Jahre alt. Sie ließ sich nur Edain nennen und war eine produktive Autorin mit zwei Dutzend Büchern. Sie schreibt:
Die alte Frau ist faszinierend und abstoßend zugleich. … Die alte Frau ist jene Hexe, die in Vollmondnächten auf ihrem Besen reitet, kleinen Kindern auflauert und sie mit Süßigkeiten in ihr Haus lockt. Sie ist die Frau, die auf der Straße zur Seite geschubst wird, weil sie alt und nutzlos ist. Aber die alte Frau ist auch unsere Großmutter, unser Lehrer und endlich unser eiugenes Schicksal. … Leider haben die Menschen schon immer Angst vor dem Tod gehabt und deshalb ist die alte Frau eine beständige Erinnerung an das, was wir gerne aus unserem Leben verbannen würden, was aber unvermeidbar ist.
Cailleach bedeutet im Gälischen alte Frau. Sie wurde manchmal mit blauem Gesicht geschildert, auch als böse Fee, die alles erstarren lassen konnte, oder als verschleierte Göttin. Den Schleier zu lüften, bedeutet, den symbolischen Vorhang zwischen dieser und der »Anderswelt« zu heben. Die alte Frau besitzt bei den Kelten die Gabe, sich oder andere verwandeln zu können, am liebsten in einen Vogel, der zwischen der Welt der Lebenden und der Anderswelt hin- und herfliegt. Nicht selten wählt sie die Krähe. Sie hat verschlingende und zerstörerische Eigenschaften: Morrigan, die Schlachtengöttin, stillt im Krieg ihren Hunger. Dann, wichtig:
Die Welt der alten Frau liegt eindeutig unter der Erde, entsprechend den dunklen Aspekten der Anderswelt. Gemäß dem Volksglauben, der die alte, weise Frau schon immer als Hexe betrachtet hat, lebte sie häufig auch am Rand der Gemeinschaft. (heute: abgeschieden zu Hause oder im Altenpflegeheim am Stadtrand)
Die alte Frau bringt Menschen nach ihrem Tod in die Anderswelt. Sie benutzt einen Kessel, der immer die Wiedergeburt darstellt. Im keltischen Mythos kann sie den Weltuntergang provozieren, indem sie den Kessel von Leben, Tod und Wiedergeburt überkochen lässt. Die alte Frau besitzt die Gabe der Weisheit und der Prophezeiung, und ihren Schülern erteilt sie harte Lektionen. Es wird ihr auch nachgesagt, das Wetter beeinflussen zu können, und der Winter ist ihre Jahreszeit (hierzu das Bild der brasilianischen Künstlerin Karina Beraldo rechts). Sie trägt einen knotigen Stock, und was sie mit ihm berührt, erstarrt zu Eis. So bringt sie den Winter übers Land.