Die böse Frau im Märchen

Die Hexe oder die böse Frau im Märchen muss nicht unbedingt alt sein. Wir gehen mal rasch ein paar Märchen der Gebrüder Grimm durch, in denen die Böse ein schlimmes Ende findet, meist verbrannt wird. 1822 kam der dritte Band der Grimmschen Sammlung heraus; erst 30 Jahre zuvor war im Süden Preußens die letzte Frau in Deutschland wegen Hexerei hingerichtet worden.

stiefmutter-1Irgendwie ist es langweilig, die Handlung dieser Märchen nachzuerzählen. Im Grunde sind die Märchen der Brüder Grimm Geschichten für heranwachsnede Mädchen, die sich bewähren müssen, um ihren Weg zu finden. Dabei müssen Probleme auftauchen, die personifiziert sind in der bösen Stiefmutter. In Schneewittchen ist sie neidisch auf ihre Schönheit, in Aschenputtel will die Stiefmutter eine ihrer Töchter zur Gattin des Prinzen machen, damit sie stellvertretend ihren Ehrgeiz erfüllen.

Angeblich soll Wilhelm Grimm bei der Überarbeitung der ersten Fassung alle (in den ihm erzählten Märchen) bösen leiblichen Mütter zu Stiefmüttern gemacht haben, weil er nicht an böse Mütter glaubte. Zu seiner Zeit vor 200 Jahren starben die Menschen früh, und es mag viele Stiefmütter gegeben haben. Das Märchen-Mädchen ist meist hübsch und wird zur Konkurrentin einer erwachsenen Frau, deren Plänen es im Weg steht. Also soll es weggeräumt werden.

Konkurrenz: Da denken wir doch an den manipogo-Artikel vom 25. Dezember, 3. Absatz. Der Sohn ist Konkurrent des Vaters um die Liebe der Mutter. Er muss entfernt werden — und im Mythos wird das durch Aussetzen gelöst. Otto Rank hat ein Dutzend solcher Beispiele aus 2000 Jahren gefunden, das berühmteste: Ödipus. Zur Handlung: König Laius und Königin Jokaste haben keine Kinder, möchten aber welche. Das Orakel sagt ihm: Dein Sohn wird dich töten. Laius verzichtet also auf Sex, doch einmal, betrunken, lässt er sich gehen. Ergebis: Ödipus. Der Vater gibt Befehl, den Sohn auszusetzen und zu töten, doch dieser landet bei einfachen Leuten. Das Orakel sagt dem Ödipus später: Du wirst deinen Vater töten und deine Mutter heiraten. So geschieht es, ohne dass er es gewollt hätte. Gegen das Orakel hilft nichts.

Bei den Grimms taucht das Motiv am Anfang von Der Teufel mit den drei goldenen Haaren auf. Ein Junge wird ausgesetzt, weil ihm geweissagt wurde, er werde mit vierzehn die Königstochter heiraten, was dem König nicht gefällt. Doch es geschieht.

Zum Motiv Tochter und Mutter als Konkurrentinnen um die Liebe des Vaters gibt es ein nettes Beispiel in Die drei Schwäne von den Brüdern Grimm. Der König hat aus erster Ehe 6 Söhne und eine Tochter, heiratet eine Hexentochter, verliebt sich dann in das Mädchen und heiratet es in dritter Ehe. Das Mädchen hat den Vater erobert! Da ist auch unklar, wo die zweite Frau abgeblieben ist. Diese Ungereimtheiten sind sicher in Neubearbeitungen getilgt worde; mein Buch ist bekanntlich von 1938, in Jahrhundert nach der Fassung 1819/1822 der Brüder.

hexeAber wir wollten ja von den bösen Frauen sprechen! Im Märchen sind sie das, was der Oberschurke bei James Bond ist. Die Verwandlungen sind etwas wie Intrigen oder Hemmnisse, die den Weg zum happy end verlängern. Die auftretenden Männer bleiben eigentümlich blass und sind oft nur heiratswillig oder vermögend. Die Frauen handeln. Männergewalt existiert nicht, und der alte Soldat ist eine positiv gezeichnete Gestalt. Wilhelm Grimm schrieb:

…  das Märchen aber steht abseits der Welt in einem umfriedeten, ungestörten Platz, über welchen es hinaus in jene nicht weiter schautDas Böse ist nicht ein Kleines, Nahstehendes und das Schlechteste, weil man sich daran gewöhnen könnte, sondern etwas Entsetzliches, streng Geschiedenes, dem man sich nähern darf.

Stimmt das auch? Müsste es nicht heißen: dem man sich nicht nähern darf? Vielleicht habe ich das Wörtlein übersehen. — Selten wurde versucht, Verständnis für die Bösen zu wecken, etwa indem man ihre Kindheit zeigt oder sie selber erzählen lässt. Die Krimiautorinnen Joy Fielding und Patricia Highsmith haben es getan, gewiss auch ein paar Männer. Es ist einfacher, das Böse grell und schwarz zu malen und es dann fast rückstandsfrei auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, statt wie in einem Spiegel einen Reflex des eigenen Schattens darin zu erblicken.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.