Anteil nehmen

Jedes Jahr sollten wir uns fragen, wie diese Welt besser werden kann. Die Antwort wird jedesmal dieselbe sein: mehr Gemeinschaft, mehr Anteilnahme. Es reicht nicht, sich ein schönes Fest wünschen zu lassen; man muss selber etwas dazu tun, dass es schön wird (für einen selbst und für andere).

Sieht nach einem guten Jahr aus. Ich bin gut drauf. Ich war ja schon immer ein netter, fröhlicher Mensch, und das ist, seit mein Ich weniger Raum hat, stärker geworden. Wer an sein Ego denkt, dessen Blick ist nach innen gerichtet. Wer selbstlos ist, schaut nach draußen, um sich nützlich machen zu können. Wenn er Emotionen ausdrückt, sind das nicht nur seine eigenen speziellen, sondern es sind Emotionen eines Menschen, die er kundgibt (wie beim Ich des Schriftstellers, das ein allgemeines Ich eines möglichen Menschen ist).

Noch im alten Jahr aßen wir in einem gemütlichen Restaurant, und an jenem Tag vor 35 Jahren, dem 29. Dezember, war mein Vater gestorben. Ich wollte darum die anderen einladen und ging zur Theke, um mit der Karte zu bezahlen. Die Inhaberin war spontan und humorvoll, und ich musste ihr erzählen, dass mein Vater viel gearbeitet und gut verdient hatte, so dass ich nicht viel arbeiten musste; und sie faltete die Hände und sprach nach oben »Danke, Papa, dass du so fleissig gewesen bist!«, und da war das Paradies für einen Moment, wir beiden verstanden uns, wir waren uns einig in unserer Freude, es war frohe Gemeinsamkeit. (Heute ist übrigens der Geburtstag meines fleissigen Vaters.)

Am ersten Tag des Jahres saßen wir in einem Zug nach Zürich, und riesige Koffer versperrten den Eingang, als die Zugbegleiterin auftauchte und sagte, da müsste noch ein Kinderwagen hin. Ich half mit, Platz zu schaffen (unsere Koffer waren ja auch dabei), und Giovanna meinte: »Das ist nicht dein Job.« So sagen es alle, und weil jeder auf sein eigenes Smartphone starrt und nur seine Bedürfnisse kennt, geschieht zuwenig Gutes. Die Schweizer Zugbegleiterin stellte mir sogar zum Dank, wie versprochen, einen Gutschein für einen Kaffee im Bordrestaurant aus, gültig ein Jahr.

Am Tag darauf bestellte ich in einem Sportgeschäft im Einkaufszentrum Glatt ein neues Paar Converse-Turnschuhe und zahlte sie, und plötzlich war ich total begeistert und froh, und damit steckte ich die junge Frau an der Kasse und den Verkäufer an, und einen Augenblick lang herrschte zwischen uns dreien pure Freude. Auch sonst kennt man das, dass plötzlich zwischen zwei Menschen ein Moment der gemeinsamen Begeisterung herrscht.

Doch diese Begeisterung muss hineingetragen werden in den Diskurs, man muss aus sich herausgehen im Wunsch, zu helfen oder Freude zu schaffen. Ich rede mit allen, und auch in der Schweiz antworten alle und reagieren. Ich ließ eine junge Mitarbeiterin einer Fluggesellschaft (vermutlich aus Mosambik) an der Migros-Kasse vor, und gleich erzählte sie mir, warum sie das gekauft habe, und ich lernte, man dürfe Bananen und Mangos nie in den Kühlschrank tun, sie erlebten einen Schock.

Sie war süß und schwarz, und auch an das Lächeln dachte ich, das mir eine junge Skifahrerin geschenkt hatte, weil es nur natürlich ist, dass man sich freut, wenn man noch Chancen hat und noch im Rennen ist, 2022 und immer.

 

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