Korczak

In meiner Quarantäne, vor acht Tagen also (auch das zweite Virus hatte mich erwischt; jetzt bin ich vorerst durch!), schaute ich mir auf Youtube wieder einen Film von Andrzej Wajda an: Korczak. Gibt’s leider nur auf Polnisch mit französischen Untertiteln, und dazu fällt Govanna immer die Episode mit dem italienischen Komiker ein, der von seinem Chef ins Kino eingeladen wird, um einen arabischen Film mit kurdischen oder einen japanischen mit türkischen Untertiteln mitzuerleben …

OIP.9xmfp40CtYiJXZ6LD4jpwgHaHcJanusz Korczak wurde 1874 in Warschau geboren und hieß eigentlich Henryk Goldszmit. Er studierte Medizin, schrieb danach Romane und wurde dadurch zu einem bekannten Arzt. 1901 verfasste er Kinder der Straße und später das pädagogische Buch Wie man ein Kind lieben soll (1919). Korczak setzte sich sehr für die Rechte der Kinder ein und dachte sogar an eine Kinderrepublik. Wir haben auf manipogo da Pestalozzi und Montessori zu bieten.

Den Film drehte Wajda 1990 in Schwarz-Weiß mit Wojciech Pszoniak (1942-2020) als Hauptdarsteller und Robby Müller (1940-2018) an der Kamera. Der Schauplatz ist Warschau, nachdem die Nationalsozialisten im Sommer das Ghetto für die Juden der Stadt eingerichtet hatten. Der Arzt leitet ein Waisenhaus mit 200 jüdischen Kindern, und einmal erwähnt er sogar die Krochmalna-Straße, uns und mir von Isaac Bashevis Singers Schoscha bekannt. Die Deportationen in die Todeslager beginnen (am 22. Juli 1942), doch die Waisenhäuser sollten verschont bleiben, verspricht der Judenrat, den die Deutschen eingesetzt hatten.

Adam Czerniaków, der Vorsitzende des Judenrates, macht Korczak klar, dass er dazu da sei, das Schlimmste abzuwenden; die Schwachen zu opfern, um die Starken zu schonen. Korczak tobt: »Bürgerliche Heuchelei! Das ist keine Solidarität!« Er meint: »Ihr wollt also selektieren?« Es klingt grausam, weil die Nazis an den Rampen der Lager die berüchtigte »Selektion« vornahmen: Wer gut aussah, kam nach rechts und zur Arbeit; die anderen (die meisten) nach links in den Tod, zur »Sonderbehandlung«. Deshalb sind diese beiden Wörter im Deutschen nicht mehr verwendbar.

Jeder denkt an sich und wie man am besten aus einer misslichen Lage herauskommt; doch angesichts der Nationalsozialisten, die das Böse an sich verkörperten, die Tod und Vernichtung wollten, war Kooperation Wahnsinn. Mit dem Bösen paktiert man nicht; durch die Überlegungen, wer gerettet werden kann und wer nicht, teilt man wiederum Leben in wertvolles und weniger wertvolles ein — und folgt den Gedanken des Bösen. Czerniaków hielt es nicht aus, den Nazis täglich 7000 Menschen ans Messer zu liefern und nahm sich das Leben, bald nach Beginn der Deportationen.

Janusz Korczak wollte sich nicht retten lassen. Er begleitete seine Kinder in den Tod, den sie am 7. August 1942 in der Gaskammer von Treblinka erlitten. Schöne letzte Einstellung im Film: Der letzte Waggon eines Güterzugs wird abgekoppelt und bleibt stehen. Die Tür öffnet sich, und heraus quellen und schnellen sich viele viele Kinder, in ihrer Mitte Korczak mit einer jüdischen Fahne, und sie laufen ausgelassen los und werden von weißem Licht ausgelöscht, von ihm aufgesogen.

 

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