Flugverkehr (134): Der Rabe

Schwarz ist böse, weiß ist gut; rechts ist gut und links ist falsch. So einfach ist das — und so falsch. Wir leben zwischen Polaritäten. Der Rabe, der etwas tölpelhaft und hohl krächzend in den Feldern herumhüpft, ist nicht gern gesehen und nicht gut angesehen. Vielleicht finden wir doch ein gutes Haar (oder eine gute Feder) an ihm?

2022-01-23-0001Es war einmal ein Rabe
Ein schlauer alter Knabe
Dem sagte ein Kanari, der
In seinem Käfig sang: Schau her
Von Kunst
Hast du keinen Dunst.
Der Rabe sagte ärgerlich:
Wenn du nicht singen könntest
Wärst du so frei wie ich.

Damit wäre der Rabe von Bertolt Brecht in dessen Tierversen schon einmal positiv geschildert. Oft kommt er nicht gut weg:

Der Rabe der Zerstreuung … Der Rabe ist das schwarze Gegenstück zur Taube und steht für Krieg und Sturm, aber auch für Leidenschaft und Sünde und verborgene Weisheit. Die reine weiße Venus gehört zu Netzach und die schwarze Venus entspricht A’arab Zaraq. Die schwarze Venus wird Venus Illegitima genannt und ist die Göttin der Perversionen.

So schreibt Thomas Karlsson in seinem Buch Kabbalah, Qliphoth und die Goetische Magie (2011).

Erst behandeln wir den Raben, dann kommt die Taube zum Zug. Beide gehören zusammen. Noa(c)h sandte erst einen Raben aus der Arche, das hatte ich nicht gewusst, und erst dann schickt er die Taube los. Tauben sind ja nicht immer blütenweiß, oft sind sie grau (taubengrau) oder blaugrau. Gibt es eigentlich weiße Raben? Nie einen gesehen; aber der US-Psychologe William James sagte einmal:

Um den Satz umzustoßen, dass alle Krähen schwarz seien, muss man nicht nachweisen, dass keine Krähe schwarz ist; es genügt, eine einzige weiße Krähe vorzuweisen, eine einzige ist ausreichend.   

William James war etwas unglücklich über unzulängliche Medien und den Vorwurf, sie seien alle Betrüger; er fand indessen Eleonora Piper, und sie, die Begabte und Aufrichtige, war seine weiße Krähe, die ihn zufriedenstellte. Daher nannte sich auch ein englischer Verlag, der gute alte Bücher aus der Parapsychologie wieder auflegt, White Crow Press.

Die Raben sind diejenigen, die böse Omina verkünden. »Die Raben haben geschrien«, hieß es in dem Disney-Kinderbuch Bambi, als die Rehmutter zu sterben droht. Man sieht sie oft in den Bergen, und Herbert Maeder (1930-2017) hat gut über die Krähen geschrieben:

2022-02-15-0003Wie trostlos wären unsere Gebirge ohne den krächzenden Schrei und die eleganten Flugkünste der Bergdohlen … Die Alpendohlen, auch Schneekrähen genannt, sind des Bergsteigers treue Begleiter bis zu den höchsten Höhen. Die geselligen Vögel nisten in den unzugänglichen Schrunden und Höhlen, nähren sich vorwiegend von Insekten, verschmähen aber auch Brot, Wurst und Käse nicht. Immer wieder bestaunt der Kletterer, der mühsam seinem Ziel zustrebt, die Flügkünste des eleganten und klugen Vogels. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Alpendohle ein treuer, monogamer Vogel ist.

Und zu Beginn der Komödie Die Vögel von Aristophanes, etwa 400 vor Christus entstanden, trägt Evelpide einen Raben, Pisistero eine Alpendohle. Sie sollen ihnen die Stadt der Träume zeigen, in der die Vögel regieren und wo man jeglichen Vergnügungen nachgeht.

P: Hörst du?
E: Was ist?
P: Irgendwie zeigt der Rabe nach oben.
E: Und die Dohle hat auch den Schnabel offen, als würde sie uns etwas sagen wollen. Machen wir etwas Lärm, dann kommen die Vögel sicher gleich.

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Und dann erwähnte Herr D. im Pflegeheim, der anscheinend meine Gedanken zu lesen versteht: »Herr S. hat gesagt: ›Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.‹« Auch so ein Sprichwort. Im »Büchmann« fand ich dann noch »Krähwinkel« als Inbegriff des Privinziellen, bekannt durch Kotzebues Lustspiel Die Kleinstädter (1803) und durch eine Satire von Jean Paul Friedrich Richter.

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