Aggressivität

Schwieriges, komplexes Thema, aber anreißen muss es manipogo einmal. Ende Februar, am Fasnachts-Sonntag, sagte ein Pastor bei einer Ansprache, seit einigen Jahren falle ihm auf, dass härter miteinander umgegangen würde. Viel Aggressivität ist zu bemerken, die früher verborgen wurde. Sicher spielt die überhitzte Kommunikation eine Rolle, Stichwort: die social media.

Einigermaßen entsetzt las man (oder sah) man in Berichten, dass Rettungssanitäter körperlich angegriffen werden, dass Polizisten und Polizistinnen zum Ziel von Wut werden, dass an Bürgermeister üble Mails gerichtet werden. Eine Erklärung fand ich in einem Buch der Krimiautorin Magdalen Nebb, deren Protagonist, der Kommissar Guarnaccia in Florenz, sagt:

Beim Anblick seiner Uniform neigten die Leute dazu, ihm für alles die Schuld zu geben, von tobenden Schuldkindern über den Krieg im Irak bis hin zu nicht funktionierenden Laternen. 

Polizisten, Sanitäter und Bürgervertreter sind alle Vertreter der öffentlichen Ordnung, die der autoritätsgläubige Deutsche früher ungeschoren ließ. Manchmal spielt gewiss Alkohol eine Rolle, aber nicht immer, und die AfD für Attacken auf Bürgermeister verantwortlich zu machen, greift auch zu kurz. Eher spielt eine Rolle, dass die Ersten Bürger nun auch einen Account im Internet haben, um wie Donald Trump etwas Kluges vom Stapel zu lassen. Vielleicht kann mancher so anonym dem Bürgermeister eine Drohbotschaft schicken und fühlt sich dann erleichtert.

Schlimm war, dass zwei Wilderer Anfang Februar einen jungen Polizisten und eine Polizistin erschossen, um der Festnahme zu entgehen. Hier in der Nähe fuhr ein betrunkener 60-Jähriger einen jungen Polizisten um, der ihn stellen hatte wollen. Später fand man heraus, dass er »Reichsbürger« war, was immer das ist. Die Presse diffamierte damit diese Gruppierung, doch beiden Fällen ist nur gemeinsam, dass da Gewaltpotenzial vorhanden war und dass radikal gehandelt und der Tod anderer in Kauf genommen wurde, um seine eigene Haut zu retten.

Man weiß um die Shitstorms in den Social Media. Jemand schreibt was Dummes und wird mit Hassparolen überschüttet. Viele hundert (oder tausend) Menschen fühlen sich berechtigt, anderen klarzumachen, dass sie falsch liegen. Das Land wird plötzlich zu einem riesigen Dorf, in dem Gerüchte ausgetreut und Menschen eingeschüchtert werden. Woher kommt diese Selbstgerechtigkeit? Welches Recht haben Leute, andere zurechtzuweisen? Können sie sich nicht um ihren eigenen Dreck kümmern?

Ein 25-jähriges polnisches Model, Kasia Lenhardt, war mit einem prominenten Fußballer zusammen, doch dann trennten sie sich. Er verkündete, er habe einen Schlussstrich gezogen; sie antwortete, er habe sie oft betrogen, und sie habe die Beziehung beendet. In der Folge erhielt sie hunderte Hassbotschaften, und ihre Mutter erzählte, Kasia habe nur noch auf ihr Smartphone gestarrt, nichts mehr gegessen und getrunken. Am 9. Februar 2021 nahm sie sich das Leben. Es war der 6. Geburtstag ihres Sohnes, der damit seine Mutter verlor.

Lang vergessen, diese Geschichte, und auch für die beiden toten Polizisten interessiert sich niemand mehr (bis die Sache vor dem Gericht verhandelt wird). Die Medienwelt ist unbarmherzig und geht schon zwei Tage später zu anderen Themen über. A propos Barmherzigkeit: ein altes Wort, das keiner mehr in den Mund nimmt. Christliche Werte sind vergessen, der Egoismus und das Sich-Duchsetzen beherrschen die Szene. Kinder hören, sie sollten sich getrost durchsetzen, ja, sie müssten sich durchsetzen, und der gute selbstlose Mensch wurde als »Gutmensch« verlacht.

Wie manipogo schon öfter bemerkt hat, stellt sich die Aggressivität in dieser Gesellschaft schon im Fernsehprogramm deutlich aus. Seit vielen Jahren beherrscht der Krimi die Fernsehwelt. Ein Mensch wird getötet, und die Vertreter der Staatsmacht suchen die Täter, buchten ihn ein, und die Welt ist scheinbar wieder in Ordnung. Das wird in allen denkbaren Varianten und an zahlreichen Orten durchgespielt. Danach kommt gleich der Fußball, der in den vergangenen Jahren immer sichtbarer und körperlicher geworden ist. Der Dauerbeschuss durch Gewaltdarstellungen schadet Kindern und könnte labile Menschen dazu bringen, wirre aggressive Gedanken in die Tat umzusetzen: Und in regelmäßigen Abständen passiert es, dass ein Halbverrückter in seinen Geländewagen steigt und ein paar Unschuldige totfährt.

Das alles sind ja nur Symptome. Wenn in einer Gesellschaft, die alles hat, die sozusagen schon hier im Paradies lebt, Unzufriedenheit gärt und Wut kocht, muss man sich fragen, warum. Fehlt vielleicht doch ein Fundament, ein Sinn, eine tiefere Bedeutung? Was quält Menschen, die andere beschimpfen und abkanzeln?

 

 

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