Die mexikanischen Muralisten

Vor 100 Jahren ging der mexikanische Maler David Alfaro Siqueiros mit einem Manifest an die Öffentlichkeit. Darin pries er im Namen einer neuen Künstlergewerkschaft eine Monumentalkunst, die zu einer »kämpferischen und erzieherischen Kunst für alle« werden sollte. 50 Jahre lang entstanden so in Mexiko und anderswo riesige Gemälde auf Wänden, und die Künstler, die die Wandmalerei betrieben, nannte man Muralisten.

R.c36c187ae06114a076a4a8da446ffe64Manchmal gibt ein Mann den entscheidenden Impuls. Natürlich war es in Mexikos Macho-Gesellchaft ein Mann (wir vergessen aber nicht Frida Kahlo, rechts im Bild!). Der Philosoph José Vasconcelos (1882-1959) wurde 1921 Staatssekretär für Bildungsfragen und gab die ersten Murales in Auftrag. Neben Siqueiros, der 1896 geboren wurde und bis zu  seinem Tod 1976 Wandbilder malte, wurden berühmt Diego Rivera (1886-1957, Mann von Frida Kahlo) und José Clemente Orozco (1883-1949). Meine Informationen und die nachfolgenden Bilder entstammen übrigens dem schönen Bildband Mexican muralists, das Desmond Rochfort 1993 schrieb.

Die Muralisten hielten sich dem Volk zugehörig und unterstützen die nationale Revolution (1910-1917). Die Wandbilder drückten Kampf und Elemd aus und erinnern freilich an russische Großplakate, was die westlichen Künstler abstoßen musste. Rochfort nannte das Werk der mexikanischen Muralisten eine Herausforderung für das Image des westlichen Künstlers, der — isoliert und leidend — sein Selbst auszudrücken bestrebt war. Zudem ging es seit Picasso und Braque (seit Anfang des 20. Jahrhunderts) weg vom Gegenständlichen und hin zum Abstrakten, und da auch Künstler Ideologen sind, war, wer verständlich-gegenständlich malte, im falschen Lager. Die Murales jedenfalls waren öffentliches Gut, eine Kunst für alle und wurden auch von allen akzeptiert.

Im Nachwort versucht der Autor, den Kontext neu zu fassen. Damals (1993) lag der sowjetische Zusammenbruch erst drei Jahre zurück, und am Horizont stand schon eine neue Art des Kolonialismus: der freie Markt. Er verwandle Verschiedenheit in Einheit und Unterschiede in Gleichheit. Dieser Prozess müsse zu einer Neudefinition von Werten führen, wie es vor 100 Jahren die ersten Murales für den jungen mexikanischen Staat taten. Rochfort schrieb, die Murales stellten die Wurzeln eines Volkes dar und lieferten eine Untersuchung und Wiederaneignung seiner Geschichte mit all den Kämpfen um Freiheit, Gerechtigkeit »und, vor allem, Identität«.

Nun sehen wir uns ein paar Wandbilder der drei bekanntesten Protagonisten an, die meist mit Airbrush und der Spray Gun arbeiteten.

"Mutterschaft" von José Clemente Orozco (1923), an der Nationalen Vorschule, Mexiko-Stadt

„Mutterschaft“ von José Clemente Orozco (1923), an der Nationalen Vorschule, Mexiko-Stadt

"Die Reichen feiern, während die Armen kämpfen" - Bild von Orozco aus demselben Jahr am selben Ort. Es erinnert an das Werk von George Grosz aus den 1920-er Jahren

„Die Reichen feiern, während die Armen kämpfen“ – Bild von Orozco aus demselben Jahr am selben Ort. Es erinnert an das Werk von George Grosz aus den 1920-er Jahren

"Die befreite Erde, und der Mensch kontrolliert die Naturkräfte" - Diego Rivera malte 1926 dieses Werk an die Nordwand der Kapelle in der Universitäöt Chapingo, Mexiko

„Die befreite Erde, und der Mensch kontrolliert die Naturkräfte“ – Diego Rivera malte 1926 dieses Werk an die Nordwand der Kapelle in der Universität Chapingo, Mexiko

Wieder Diego Rivera: "Die Geschichte Mexikos - die Welt von heute und morgen" (1935). Südwand des Nationalpalasts Mexiko-Stadt

Wieder Diego Rivera: „Die Geschichte Mexikos – die Welt von heute und morgen“ (1935). Südwand des Nationalpalasts Mexiko-Stadt

"Detroit Industry", 1933 am Kunstinstitut Detroit, Michigan, von Diego Rivera (1933)

„Detroit Industry“, 1933 am Kunstinstitut Detroit, Michigan, von Diego Rivera (1933)

David Alfaro Siqueiros gestaltete so das Kulturelle Poliforum im Parque de Lama, Mexiko-Stadt (1971).

David Alfaro Siqueiros gestaltete so das Kulturelle Poliforum im Parque de Lama, Mexiko-Stadt (1971).

 

 

 

 

 

 

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