Die Brücke von San Luis Rey

Den Artikel, den ich zunächst hatte schreiben wollen, gibt es schon. Er heißt Brückenbauer. 2016 war das. Es wird der Tag kommen, an dem ich meine, mit manipogo alles gesagt zu haben. Das wird vielleicht schon nächsten Mai sein, wenn ich mein Pferd sattle und gen Osten radle und später nach Norden, bis in den Herbst hinein. Aber was es hier noch nicht gibt: Die Vorstellung des Buches Die Brücke von San Luis Rey von Thornton Wilder (1927 erschienen).

Wilder war gerade 30 Jahre alt, als er das Buch schrieb, und es brachte ihm den Pulitzer-Preis ein. Herberth H. Herlitschka übersetzte es damals (im Geburtsjahr meines Vaters) mit großem Atem und im Geist der klassischen Novellen, getreu dem biblischen Stil des Autos, so dass ich Freude am Lesen hatte. 2014 gab es eine Neuübersetzung, und ich frage mich immer, wem dient das? Nur dem Verlagsgewerbe, das auf neues Interesse für ein altes Werk hofft und auf neue Einnahmen. Ein Buch wird bei Ersterscheinung übersetzt, und wenn es gut gemacht ist, sollte es gültig für Jahrhunderte sein. Goethe ist Goethe; niemand würde es wagen, ihn für die heutige Zeit umzuschreiben, dass ihn auch bestimmt jeder versteht.

p063j0fcFreitag, den 20. Juli 1714, um die Mittagsstunde, riss die schönste Brücke in ganz Peru und stürzte fünf Reisende hinunter in den Abgrund.

So lautet der erste Satz. Frater Juniper, ein rothaariger Franziskaner aus Norditalien, wollte es wissen. Warum diese fünf? Damals schlug man sich gern mit der Frage nach Gottes Willen herum. Gibt es eine Erklärung dafür, dass gerade diese Fünf zum Opfer des Unglücks wurden? Der Frater wollte die Theologie zu einer strengen Wissenschaft machen, recherchierte und schrieb ein dickleibiges Buch darüber, … kam aber zu keinem Ergebnis. Manchmal sterben eben die Guten, werden früher heimgeholt.

300 Jahre später hätte Juniper in heimatlichen Gefilden wieder ans Werk gehen können und viel mehr Arbeit gehabt. 43 Menschen verloren ihr Leben, als am 14. August 2018 die vierspurige Autobahnbrücke der A10 vor Genua, die sogenannte Morandi-Brücke, auf 200 Metern einstürzte. Pech gehabt, denkt man heute selbst in einem religiösen Land wie Italien. Man will nur wissen: Wer war schuld?

4f4c3b55150d54b07501f9350b6d4198Der Autor als fiktiver Juniper-Nachfolger gibt an, auch nicht mehr bieten zu können. Aber er streut Hinweise, die zu Erkenntnissen in diesem Fall führen, der freilich erfunden ist. Alle fünf Opfer sind miteinander und mit anderen Personen verknüpft, und alle sind eng einer Person verbunden, die sie (hoffnungslos) lieben. Die Marquesa von Montmayor schreibt flammende Briefe an ihre Tochter Clara in Spanien, mit der sie sich nicht versteht; ihre Dienerin Pepita verehrt ihre Äbtissin, die sie fördert. Esteban trauert um seinen Zwillingsbruder Manuel, der die Schauspielerin Camila, die Perichole, geliebt hat, und der gute, geniale Onkel Pio hängt auch an dieser kapriziösen, komplizierten Frau, die er als Schauspielerin entdeckt und geschult hat. Das fünfte Opfer ist Pericholes Sohn, den Pio mit sich nehmen wollte, um ihn ein Jahr lang zu erziehen.

Die Marquesa bereut ihr Verhalten ihrer Tochter gegenüber und stöhnt:

Morgen werde ich ein neues Leben beginnen. Warte nur, mein Kind, mein liebes Kind!

Mit ihrer Dienerin will sie nach Lima zurück, über die Brücke von San Luis Rey, als diese reißt. Auch die anderen wollen auf der anderen Seite der Brücke neu anfangen. Esteban versucht den Tod seines Bruders zu verarbeiten und will mit Kapitän Alvarado gehen, der seit dem Tod von Frau und Kindern rastlos die Welt bereist, um zu vergessen; Estebans Schicksal hätte dem seinen gleichen können, wäre er nicht abgestürzt, bevor das Schiff ablegte. Onkel Pio konnte nichts für seine geliebte Perichole tun, sie weist ihn ab. Immerhin erreicht er, dass sie ihm für ein Jahr in Spanien seinen schwerkranken Sohn mitgab. Die immer noch schöne Schauspielerin nimmt den Schleier und schließt sich der Äbtissin an, deren Gedanken dem Buch abschließend große Höhe verleihen.

053»Schon jetzt«, so dachte sie, »erinnert sich fast niemand mehr Estebans und Pepitas, als nur ich. Camila allein gedenkt ihres Onkels Pio und ihres Sohnes; diese Frau ihrer Mutter. Bald aber werden wir slle sterben, und alles Angedenken jener fünf wird dann von der Erde geschwunden sein, und wir selbst werden für eine kleine Weile gelebt haben und dann vergessen werden. Doch die Liebe wird genug gewesen sein; alle diese Regungen von Liebe kehren zurück zu der einen, die sie entstehen ließ. Nicht einmal eines Erinnerns bedarf die Liebe. Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe — das einzige Bleibende, der einzige Sinn.«  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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