Flugverkehr (142): Zwei Seelen, ach!

Ach, wie oft schon hat manipogo vom beflügelten/geflügelten Menschen geschrieben, der hoch hinaus will und auch das Zeug dazu hat, ohne dass dies allen klar wäre. Klar ist, dass wir geistige und moralische Höhenflüge meinen; jeder kann sich ein Ticket kaufen, in einen Jet einsteigen und fünf Stunden später in Kairo sein. Doch was dann? Wir wenden uns Goethes Faust zu, den alle vom Namen her kennen und doch nicht richtig. Wir bieten eine Kurzfassung.

Im Juni will manipogo sich mit Doubles, Kopien, Doppelgängern, bipolaren und schizophrenen Wesen auseinandersetzen, und nach mehrmaligem Kopieren könnte uns das zu den multiplen Persönlichkeiten führen. Mir fiel plötzlich das Faust-Zitat Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust ein, und ich suchte die entsprechende Stelle heraus. Das ging früher, vor den Suchmaschinen, auch: mittels des Büchmann, der großen deutschen Zitatesammlung. Sie sagt: Kommt vor im Faust, im Abschnitt Vor dem Tore. Das ist der berühmte Osterspaziergang von Doktor Heinrich Faust und seinem harmlosen Begleiter Wagner, das mit den Sätzen anhebt

Vom Eise befreit sind Ströme und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche
Zog sich in rauhe Berge zurück.

Der Gelehrte sieht der Abendsonne zu und stellt sich vor, ihr zu folgen:

Der VogelIch säh im ewgen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.

Aber die Göttin, die Sonne, will untergehen, »scheint wegzusinken«:

Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht,
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
fliegerKein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Dass sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.

Man will hinaus, man will fliegen, aber leider gab es damals die körperlichen Flügel nicht. Mit der Postkutsche musste man mühevoll über Berg und Tal, und fliegen konnte nur die Seele, weshalb Joseph von Eichendorff, der sehnsüchtige und fernwehkranke Sänger, in der Mondnacht schrieb:

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Faust spricht nun das bedeutende Wort aus, das bei uns im Titel steht (und als Illustration daneben Baphomet, der Fürst der Finsternis, der mit einer Hand nach oben und mit der anderen nach unten zeigt):

Du bist dir nur des einen Triebs bewusst;
O lerne nie den andern kennen!
templarritualZwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O gibt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,
So steiget nieder aus dem goldenen Duft
Und führt mich weg, zu neuem, buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
Und trüg er mich in ferne Länder,
Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder,
Nicht feil um einen Königsmantel sein.

Wir haben diesen Zaubermantel ja und lieben ihn. (Ioao Culianu hat einmal geschrieben, dass unsere Art des Reisens den alten Völkern vorgekommen wäre wie der fliegende Teppich.) Ein Flugticket kostet nicht viel. Doch was Faust sich ersehnte — neues, buntes Leben —, schenkt eine Flugreise nicht automatisch. Uns sind diese Reisen zu Routine geworden; uns, die wir alles haben, müsste man als Zaubermantel ein neues Denken schenken, auf dass wir herausfänden, was uns glücklich machen kann. In den Geist ist Körper gemischt und Körper in den Geist: Die Seele (oder der Geist) bedient sich eines feinstofflichen Körpers, um den physischen Körper zu verlassen; und auf einer körperlichen Reise in eine bunte Welt braucht man viel Geist, um sie erst genießen zu können.

Faust, der Schwärmer, erspäht einen Pudel, nimmt ihn in sein Studierzimmer mit, und plötzlich hat dort Mephistopheles seinen Auftritt, und Faust ruft aus:

Das also war des Pudels Kern!

Und dann wird er sich selbst untreu und entdeckt die Verlockung, die Versuchung, und alle hochfliegenden Pläne zerrinnen. Er will die schöne Margarete gewinnen! Sein Fernweh richtet sich auf ein Nahziel. Und bald hält er »in derber Liebeslust, / Sich an die Welt mit klammernden Organen«. Am Ende seines Lebens indessen fliegt er wieder.

ENGEL, schwebend in der höheren Atmosphäre,
Faustens Unsterbliches tragend:

Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen,
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die sel’ge Schar
Mit herzlichem Willkommen.

 

 

 

 

 

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