Bakunin, 1840, Deutschland

Michael Bakunin und die Anarchie wollte ich schnell »weglesen«, um es dann weglegen zu können. Ging aber nicht, denn das kleine Buch, vor 100 Jahren von der deutschen Autorin Ricarda Huch (1864-1947) verfasst, ist einfach zu gut, und sie formuliert so treffsicher, dass manipogo etwas davon wiedergeben muss und wieder viele Zitate bemüht. Was gut durchdacht und perfekt in Worte gekleidet ist, wirkt wie ein Merksatz. Darum.

255px-Ricarda_Huch,_1914Ricarda Huch war um 1933 eine geachtete Schriftstellerin, unterschrieb eine Ergebenheitsadresse an die Nazis nicht, trat sogar aus der Preußischen Akademie der Künste aus — und die Nationalsozialisten taten ihr nichts, verschwiegen ihre Gegnerschaft.  Hätte die katholische Kirche mit dem Papst an der Spitze entschieden die Juden verteidigt, wären womöglich viele Menschen gerettet worden. Denn die Nazi-Partei wollte keine schlechte Presse. (Links: Ricarda Huch 1914)  Frau Huch hat sich immer mit standhaften Einzelkämpfern identifiziert, und so einer war der Russe Michael Bakunin, 1814 geboren und am 1. Juli 1876 in Bern gestorben.

indexAnarchist war immer ein Schimpfwort, doch Bakunin, deren Repräsentant, wollte laut Huch die »freie Initiative freier Individuen in freien Gruppen«. Karl Marx, den Bakunin in Paris traf (die Bilder — rechts Bakunin, links Marx — ähneln sich; sie hätten Brüder sein können!), plante einen marxindexstraffen, mächtigen Einheitsstaat, an dessen Ruder die Arbeiter stehen würden. Nur die Russen und allenfalls die Polen hatten die Freiheit verdient, die anderen Slawen sollten dienen. Frau Huch folgerte:

Man sieht, dass sich da zwei Menschen gegenüberstanden wie etwa der moderne Westen und der Orient: dem einen kam es auf Organisation, Ordnung, Gütererzeugung, Betrieb an, dem andern auf natürliches Menschenleben.

Man weiß, wie es ausging. Der ordentliche Deutsche Marx trug zur Russischen Revolution bei und formte unwissentlich das diktatorische zentralisierte Reich im Osten mit, das von 1920 bis 1989 Westeuropa in Angst und Schrecken versetzte; Michael Bakunin wurde verteufelt, doch vermerkte Bernd Balzer 1980 in seinem Nachwort zu dem Huch-Buch, damit sei kein endgültiges Urteil über dessen geschichtliche Funktion gesprochen — und noch weniger über den Wert seines Grundgedanken, finde ich, als Luftzeichen (Wassermann/Zwilling) ein glühender Anhänger von Freiheit, Toleranz und Laissez-faire. (Und der Song dazu: Anarchy in the U. K., official video, the Sex Pistols: 8 Millionen Abrufe, 5325 Kommentare)

Bakunin hatte jedoch seine Rolle bei der deutschen Revolution 1848. Bevor er Marx in Paris traf, hatte er sich lange in Deutschland aufgehalten und hatte gehofft, den Geist Goethes und Schillers im Volk vorzufinden, doch

anstatt dessen sah er zahme, vorsichtige Menschen in sauber gepflegter, hübsch verzierter Umgebung, irgendwelchen vorgeschriebenen Beschäftigungen oder einem geordneten, unschädlichen Müßiggang ergeben; vor einer pedantischen, uniformierten, leicht gereizten und knurrenden Regierung sich duckend.

Das mag 1922, als Ricarda Huch fast 100 Jahre zurückblickte, auch noch so gewesen sein. Und heute? Auch das folgende Zitat, auf Deutschland im Jahr 1840 gemünzt, gilt heute noch, nur sagt man für Gott eher Demokratie oder Freie Marktwirtschaft (Bild: Rezeptionssaal eines großen Hotels in New York, Detroit Publishing, zwischen 1905 und 1915, Dank an Library of Congress).

service-pnp-det-4a20000-4a21000-4a21100-4a21148rWer wüsste nicht, dass Gott die Liebe ist? Der von der siegreichen Kirche auf den Thron gesetzte Herrscher veränderte seine Züge vollständig, aber allmählich und so im Zusammenhange mit den Menschen, dass sie es größtenteils gar nicht bemerkten. Aus dem großen Jehova, dem Allvater, aus dem ewig in unerschöpflicher Fülle Schaffenden und Zerstörenden wurde ein Portier im Hotel Europa, der die Aufgabe hatte, für Ordnung zu sorgen in dem Sinn, dass die zahlungskräftigen Gäste es möglichst bequem hatten.  

 

 

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