Wie Politik gemacht wird

Heute will manipogo mal eine Passage aus einen Vortrag abdrucken (nicht zu lang!) und erst danach verraten, von wem es ist. So lernt man, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt; und es ist ein Genuss, wenn ein Historiker in perfekten Deutsch Sachverhalte auf eine abstrakte Ebene hebt, sie kondensiert und uns zu Erkenntnissen führt.

Der Auszug:

Neben dem gewaltigen Ernst einer unablässig von Europa ausgehenden schöpferischen Leistung geistiger, wissenschaftlicher Disziplin wirkt das politische Geschehen unserer Geschichtsalter ständig schwankend zwischen der Anwendung mehr spektakulärer als wirklicher Grundsätze und völliger Grundsatzlosigkeit; improvisatorisch wird Politik am Rand des Abgrunds gemacht, und unsere vorhandenen, unsere werdenden Werte stehen unablässig auf dem Spiel. Als völlig totgelaufene Begriffe geistern die großen Leitworte durch den Raum des politischen Geschehens, im 011Kampf der Weltmächte werden sie als gefälschte Wirkungsmittel ausgespielt. Heute aber vollziehen sich die Machtkämpfe unter der Voraussetzung, dass nicht einzelne Staaten und Völker mehr, sondern dass  die Menschheit als ein Ganzes tödlich bedroht ist. Solidarität ist angesichts der auf uns zukommenden Endkatastrophe jetzt die entscheidende Notwendigkeit, alles andere steht hinter dieser Tatsache zurück.  

Dieser Appell klingt aktuell, da die Klimakatastrophe näher rückt, und überhaupt und immer wäre Solidarität unter den Völkern anzumahnen — im Wissen, dass der Appell vergeblich bleiben wird. Der Basler Historiker Carl Jacob Burckhardt (1891-1974) sprach diese Sätze 1960 anlässlich eines Vortrags in München aus, der den Titel trug Zur Geschichte der politischen Leitworte. Unter ihnen versteht er Schlagworte wie Freiheit und Gerechtigkeit, die so oft missbräuchlich und in polemischer Absicht verwendet wurden. Schon Tacitus schrieb vor 2000 Jahren:

Übrigens sind Freiheit und andere blendende Worte nur ein Vorwand, noch niemand hat je nach Unterjochung anderer und Herrengewalt gestrebt, ohne sich dieser Worte zu bedienen.

Burckhardt schreibt:

Die unübersehbaren Gräberstätten, die von den großen Kriegen übrigbleiben, zeugen in tragischer Weise von Hingabe an oft nur vermeintlich übergeordnete Prinzipien.

Und Selbstkritik steht der Überheblichkeit gegenüber:

Wenn unsere Literatur, unsere psycholoigische Wissenschaft menschliche Fehler, ja Erbärmlichkeiten mit äußerstem Realismus schildert und unsere Schwächen vor uns ausbreitet, verhält sich das polar zu einem titanhaften Selbstbewusstsein der Moderne, das seine Kräfte aus einer produktiven Amoral zu gewinnen sucht.  

Damals, 1960, standen sich Ost und West unversöhnlich gegenüber, was sich in der Kuba-Krise noch zuspitzte. Immer war es dramatisch, doch immer wieder hörten wir die alten Phrasen.

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