Anfang einer Diktatur

Heute vor 100 Jahren erhielt Benito Mussolini, der Chef der italienischen Faschisten, von König Viktor Emmanuel III. den Auftrag, eine neue Regierung zu bilden. Damit begannen 20 Jahre der faschistischen Diktatur in Italien, die erst am 25. Juli 1943 mit der Absetzung Mussolini, des »Duce«, ihr Ende fanden. Die Unterdrücker feierten jedes Jahr am 28. Oktober ihren »Marsch auf Rom«. Auch eine Gründungslegende. 

Ich wusste auch nichts darüber, obwohl ich mich ja für Italien interessiere. Erst als ich in dem Buch Medusa von Mario Tobino den Termin fand und darüber schreiben wollte, machte ich mich an die Arbeit, las die deutsche und italienische Wikipedia darüber und basta. Da wird schon alles klar, und ich versuche, es lebendig nachzuerzählen.

Der angeblich legendäre »Marsch auf Rom« war eigentlich eine Seifenblase, eine zunächst leere Drohung durch Mussolini und seine Partei PNF (Partito Nazionale Fascista). Das Wort Faschismus kommt von den fascis — Lederriemen, die die Littorali um die Hüfte trugen und mit denen sie jene banden, die dem Herrscher gefährlich werden konnten. Die Littorali gingen ihm auf der Straße voraus und schlugen mit ihren Prügeln zu.

RItalien steckte wieder einmal in einer Regierungskrise, in deren Schatten sich die faschistischen Horden breitmachten. Sie zerstärten im Sommer 1922 sozialistische Druckereien und scheuten nicht davor zurück, Rathäuser zu besetzen, die von Linken regiert wurden. Ein Generalstreik Ende Juli wurde kaum befolgt. Dann wurden ihre Drohungen lauter. Ein Vorgeschmack war ein Kongress der Faschisten in Neapel am 24. Oktober 1922, an dem 15.000 Männer teilnahmen. Am Nachmittag dröhnte Mussolini: »Entweder sie geben uns die Regierung, oder wir marschieren auf Rom.« (Im Bild oben der verblendete, eingebildete Benito.)

Am 27. Oktober machten die Faschisten ernst und besetzten Postämter, Verwaltungsgebäude und Präfekturen in vielen Städten, jedoch nicht mit viel Erfolg. Die Regierung wankte wieder. Ministerpräsident Facta wollte den Belagerungszustand, auch wenn General Pugliese, Befehlshaber des Heeres, an der Schlagkraft seiner Leute zweifelte. Das Dekret wurde am Morgen des 28. dem König vorgelegt, aber dieser weigerte sich, es zu unterzeichnen. Stattdessen ernannte er einen neuen Regierungschef, der allerdings scheiterte, weil die faschistische Opposition nicht mitmachte.

morteUnterdessen hatten sich 16.000 Faschisten in vier Städte nahe Rom versammelt: in Foligno, Monterotondo, Santa Marinella (leider!) und Tivoli. Der versagte Belagerungszustand gab ihnen freie Fahrt. Es war der 29. Oktober. Mussolini war in die Nähe von Como gereist; nach einigen Quellen hatte er Angst und wollte in die Schweiz fliehen, wäre der Belagerungszustand ausgerufen worden. Am Abend erreichte ihn ein Telegramm: Er möge sich nach Rom begeben, um vom König mit der Regierung betraut zu werden. Er nahm den Nachtzug.

Am 30. Oktober erhielt er die Regierungsverantwortung und wurde der »Duce« (Führer). Die 16.000 Faschisten kamen nach Rom und schlugen Sozialisten nieder und verbrannten ihre Büros. Mehr war nicht. Mario Tobino sagt in seinem Buch Il clandestino von 1962 über den Schriftsteller Marino, einen Ex-Faschisten, er habe »jenen Studentenulk mitgemacht, der sich Marsch auf Rom nannte«.

Am Nachmittag paradierten die bewaffneten Faschisten vor dem König und den neu ernannten Ministern. Zwei Monate später gab es eine Freiwilligen-Miliz »für die nationale Sicherheit«, die Mussolini unterstellt war — was gegen den Grundsatz verstieß, der König sei Herr über alle bewaffneten Verbände.

Wie in Deutschland (allerdings 11 Jahre später) erhielt ein Mann der Gewalt die Gewalt über ein Land. Leichtfertig und eilfertig berief der König den Faschisten, dessen Gefolgsmänner seit zwei Jahren überaus gewalttätig gewesen waren; man brauchte kein Hellseher sein, um sich die Zukunft auszumalen! (Doch das Böse geht unter. Mussolini wurde 1945 hingrerichtet, der König starb 1947.)

Aber die Politiker gaben dem Druck nach, wie auch die westlichen Mächte Hitler viel zu lange gewähren ließen. Was sind 16.000 Männer gegen ein paar Bataillone des Heeres, die aufmarschieren? Der »Marsch auf Rom« war ein Bluff, der den Duce an die Macht brachte. Und Mussolini wurde obendrein zu Hitlers Vorbild. Der Marsch auf Rom regte ihn zum Münchner Putsch von 1923 an und mag ihn in der Folge motiviert haben. So führen Kleinmut und Angst manchmal zu großem Unheil.

 

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