Das nihilistische Zeitalter

In seinen Diktaten ging Peter Noll sehr weit, nannte die Dinge beim Namen. Man meint immer, Sterbende (und später, die Geister) wüssten mehr als wir. Das ist ein Irrtum. Sie trauen sich nur mehr, weil sie keine Rücksichten mehr nehmen müssen. Noll, der nun 40 Jahre tot ist, erkannte damals: »Dabei sind alle anderen auch Sterbende.« Wir sollten uns mehr trauen.
Eines der Notate lautet:

018… es wird große Apparate geben, denen die meisten Menschen nicht mehr gewachsen sein werden: Apparate ohne Seele, nur dazu geschaffen, das Chaos wiederherzustellen, aus dem Gott die Welt erschuf. 

Der Autor erkannte schon 1981, was sich seit Anfang des neuen Jahrhunderts (Jahrtausends) bewahrheiten sollte:

Deshalb sind wir ja gerade daran, die Mächtigen mächtiger, die Reichen reicher zu machen … die Konzentration in der Wirtschaft schreitet fort; es herrschen die anonymen Apparate. Die Politik ist demgegenüber nicht nur machtlos, sondern damit einverstanden. 

Wir leben in einem nihilistischen Zeitalter auch in dem Sinne, dass die Wirtschaftlichkeit zum Mass aller Dinge geworden ist. … Den Nihilismus können wir daran erkennen, dass ein Mittel zum Selbstzweck erklärt wird, das Geld, die Arbeit, die Rendite.

Es gebe auch ein nihilistisches Eigentum, erklärt Noll, der es als Juraprofessor wissen musste. Die Gesetze legen fest, dass ich mit meinem Eigentum nach Belieben verfahren kann: »Ich kann alle anderen von jeder Einwirkung auf die Sache ausschließen.«

DSCN4108Dem Eigentum eignet ein hoher Wert im Bürgerlichen Gesetzbuch. Ich kann mir 10 Häuser kaufen und sie allesamt leerstehen lassen. Heute gibt es Filmstars und eine stattliche Reihe Fußballspieler, die haben 50 bis 100 Millionen auf ihren Konten; und sie stellen Berater an, dass daraus bald 60 oder 110 Millionen werden. Das ist alles totes Kapital, das man investieren und zum Leben erwecken könnte.

Kürzlich sagte mir Giovanna, die acht reichsten Menschen der Welt (amerikanische Männer, natürlich, an der Spitze Musk und Bezos mit ihren jeweils über 100 Milliarden) besäßen zusammen so viel wie 3,5 Milliarden der Ärmeren. Acht Männer sind so reich wie die halbe Welt. 800 Millionen Menschen der mittlerweile acht Milliarden hungern. Und acht Männer sind stinkreich. Dazu fällt einem nichts mehr ein. Das ist eine Obszönität. Das schreit zum Himmel.

Der Kranke pendelt zwischen Hoffnung und Verzweiflung und steht Schmerzen aus.

Freude hat ihren Sinn in sich selbst, Schmerz muss ihn aus einem Zweck beziehen.

Also hat der Schmerz eine metaphysische Bedeutung, gerade auch als verdeckter Schmerz, als Sinnentleerung, indem er zeigt, dass diese Welt, zumindest seit es den Menschen gibt, vom Bösen beherrscht und dass es dem jenseitigen Guten nur hin und wieder gelingt, dem Individuum Freude zu bereiten. Konsequent weitergeführt würde der Gedanke bedeuten, dass Freuden und Wohltaten Zeichen aus einem besseren Jenseits sind.

Damit kommen wir zu Gott.

Die einzig tragende Verbindung ist Gott und Sinn. Das Leben wird nicht sinnlos ohne Gott, aber der Tod.

Die alten Juden wussten es besser: Gott ist eine ganz andere Dimension; die Ewigkeit macht Zeit, Raum, Kausalität zunichte. Einen Schimmer Gottes finden wir in den Sinnoasen des Daseins.

Die Ewigkeit als Ewigkeit denken, wenn auch unvorstellbar, das ist vielleicht die letzte Leistung dieses Planeten, die er mit Hilfe seines Endprodukts, des menschlichen Gehirns, hervorgebracht hat: Geist, der vielleicht doch ein Teilchen von dem ist, durch den alles gemacht ist und durchschaut werden kann.  

 

 

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