Angriff auf das Selbst

»Das Ego wird dich mit Freuden zerstören«,  dieser Satz klang noch in mir nach. Über den Selbsterstörungstrieb muss man schon mal schreiben, denn eigentlich ist es ungeheuerlich, dass ein Mensch sein Leben wegwerfen möchte. Gibt es Zeugnisse aus der Anderen Welt darüber?

IMG_4106Natürlich kann ein äußeres Ereignis jemanden aus der Bahn werfen: Ein geliebter Mensch stirbt; man verliert seinen Job; man verarmt. Der Boden unter den Füßen ist einem weggerissen worden, es gibt kein Fundament mehr, das Leben scheint nicht mehr lebenswert. Für einen Neuaufbau fehlt die Kraft. — Man kann auch in eine Depression rutschen, weil man das Gefühl hat, etwas stimme nicht mehr. So wie man lebt, macht einen unglücklich. Doch das Ego ist erbarmungslos. Es möchte weitermachen wie zuvor, es will am Leben bleiben und greift zu Vorwürfen, den Selbstvorwürfen.

Das Ich sagt etwa: »Ändere dich nicht, sonst bringe ich dich um.« Doch es hilft nichts. Wie bei äußeren tragischen Anlässen muss der leidende Mensch sich neu orientieren, sich neu erfinden. Die einzige Rettung ist, dem Ich zu sagen: »Ich muss mich ändern, also bringe ich dich um.« Wie bei RJ Spina muss man sich von seinem alten Ich distanzieren. Es muss etwas Neues werden, aus der Asche muss Phoenix wiederauferstehe: ein schmerzhafter Prozess. Wir meinten immer, als müsse weiterlaufen bis in ewige Zeit; doch nun ist Handlung gefragt, ein mühsamer Wiederaufbau steht uns bevor.

SDC10893Nicht immer gelingt das. Wenn Selbstmörder zurückkommen (gerettet werden), berichten sie all das, was andere bei Nahtod-Erfahrungen berichten; vielleicht aber nicht ganz so intensiv. In den 1980-er Jahren wurde befürchtet, dass die Schilderungen der Nahtod-Zeugen andere dazu verleiten könnten, in diese vermeintlich schöne Welt zu entfliehen. Doch das geschah nicht. Sogar diejenigen, die zu ihrem Leidwesen wieder zurückkamen, blieben. Nur selten blieb die Sehnsucht nach der Anderen Welt unbesiegbar. 4 Prozent derer, die eine Nahtod-Erfahrung gemacht hatten, versuchten in den 20 Jahrren danach, sich das Leben zu nehmen.

51t29EGLXwL._SX331_BO1,204,203,200_Zuweilen berichten Menschen, die sich töteten, aus dem Jenseits. Material dazu steht in dem Buch Suicide: What Really Happens in the Afterlife? von Pamela Ray Heath und Jon Klimo (2006). Es liegt mir nicht vor; aber was ich über die nachtodlichen Zeugnisse von Selbstmördern las, klingt alles ähnlich. Fast allen tut ihre Tat leid, sie entschuldigen sich dafür, denn meist geschah es spontan und unüberlegt. Die Flucht aus den Problemen gelang nicht. Hinzu kam das Leid, das sie ihren Hinterbliebenen aufbürdeten und das sie nun in aller Schwere spüren; was sie da angerichtet haben, belastet sie nun mehr als ihre irdischen Bedrängnisse zuvor. Doch keine ewige Verdammnis ist über sie verhängt, ihnen wird verziehen — wenn sie sich nur selber verzeihen könnten!

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.