Der Kongress von Camerino

Camerino war 1988 Schauplatz eines italienischen Kongresses für Parapsychologie. Diese Information verdanke ich einem Besucher, der mein Interesse für das Paranormale zum Anlass nahm, sein Smartphone zu konsultieren — und eine interessante Seite fand. Es war 1988 anscheinend eine turbulente Veranstaltung. 

cam8Die Seite ist, wie in Italien üblich, bunt und sehr esoterisch, wobei — kurios — der Autor seinen Namen nicht preisgibt. Anscheinend fand die Veranstaltung in der Universität statt, und es gibt sogar ein Bild davon: das übliche nichtssagende von Menschen in einem Hörsaal. Veranstaltet hatte den Kongress Raul Bocci, über den im Internet nichts zu finden ist. Aus dem Bericht wird aber klar, dass Camerino durchaus im Spiritualismus Anhänger hatte.

Der anonyme Autor erklärte beim Kongress öffentlich, er lebe zwar in Großbritannien, gehöre aber zu einer mediumistischen Gruppe in den Marken, die in Kontakt zu einer verwandten Gruppierung in Camerino stehe — über dessen Gründer, Professor Stoppoloni. Vielleicht war er der Sohn des Malers Augusto Stoppoloni (1869-1936), gebürtig aus San Severino, der 1923 das Gemälde San Venanzio Fortunato malte, den Schutzheiligen Camerinos.

Eine Frau hatte sich damals ans Publikum gewandt und erzählt, sie habe bei zwei Autounfällen ihren Sohn und ihren Ehemann verloren. Sie sagte:

cam11Ich war zerstört. Ich wollte meinem Leben ein Ende setzen. Eine Freundin, die sich für den Spiritualismus interessierte, riet mir, ein Tonbandgerät auf den Tisch zu stellen, die Aufnahme einzuschalten und am Ende des Bandes dieses zurückzuspulen und es anzuhören. Ich tat wie mir vorgeschlagen und ging außer Haus, um einzukaufen. Als ich zurückkam, spulte ich das Band zurück und lauschte. Am Anfang hörte ich einige Geräusche, Rascheln und das Zwitschern eines Vogels. Dann waren da plötzlich die Stimmen meines Mannes und meines Sohnes, die mein Herz erfüllten.

Die Aufnahme wurde beim Kongress sogar wiedergegeben, als sich die Stimme eines einzelnen Zuhörers erhob, dem dies nicht gefiel. Lautstark protestierte er und behauptete, die Stimmen kämen aus dem Unbewussten der Frau. Andere mahnten ihn zur Ruhe, wieder andere brüllten, und bald entstand ein Klima wie im Stadion bei einem Fußballspiel. Raul Bocci, der Veranstalter, rief vergebens zu Besinnung auf. Beleidigungen wurden hin- und hergerufen, und plötzlich erhob sich der Autor und ging zum Pult, cam10was ihm Bocci nicht verbot. Er gab an, Josua, einer seiner Geistführer, habe sich bei ihm gemeldet, um Ruhe und Frieden zu bringen.

Er spricht also über seinen Werdegang und fragt, ob die Telefonanrufe von Wesenheiten, die er erhalte, auch Frucht des Unbewussten seien? Der Autor wendet sich direkt an den Störer und befiehlt ihm, den Mund zu halten. Sie alle seien auf der Suche nach Wahrheit; jeder könne schon morgen abberufen werden. Wir alle seien hier, um die kosmische Liebe zu erlernen und die egoistische abzulehnen, die nur zum Schmerz führe. Weiter:

Die Evolution des Menschen sieht vor, dass er ein göttliches Wesen werden soll, ein Lichtbringer wie ein Engel. Für seine Evolution muss der Mensch seine dunkle Seite beherrschen lernen. … Wo eine Quelle des Lichts existiert, müssen die Menschen sich an ihr berauschen und sich mit reinen Farben füllen, um die Harmonie ihres Höchsten Wesens wiederzufinden.

cam12Leider brach dann die Verbindung zu Josua ab, und dem Autor fiel nichts mehr ein. Er verabschiedete sich. Später wollte ihn ein 25-jährige Frau sprechen, die erklärte, sie habe bei einem Autounfall den Tunnel kennengelernt und das Licht gesehen, habe aber zurückkehren müssen. Was solle sie nun tun? Josua meldete sich wieder: Er solle fragen. ob sie im Tunnel ein leuchtendes Dreieck gesehen habe. Ja, das habe sie; dieses Dreieck habe auch ihr Verlobter getragen, den sie verlassen habe, weil er nur von Gott und dem Licht gesprochen habe. Der Autor rät:

Liebe den, der dich liebt, und lerne, dich selbst zu lieben und das Licht, das du im Tunnel gesehen hast. Wenn es dir möglich ist, kehre zu diesem jungen Mann zurück und nicht nur, um zu nehmen, sondern auch zu geben. Er kann dir vielleicht zeigen, was du immer gesucht hast.

luisa9Und zum Schluss erwähnt der anonyme kundige Mann noch das Buch eines ungarischen Autors, der ein früher »Testpilot« war. Stefan von Jankovich, 1920 in Budapest geboren, floh nach dem Ungarn-Aufstand 1956 in die Schweiz und arbeitete erfolgreich als Planer und Architekt in Zürich. 1964 hatte er einen schweren Autounfall, den er 20 Jahre später in dem Buch Ich war klinisch tot. Der Tod — mein schönstes Erlebnis verarbeitete (rechts die italienische Übersetzung, Vi racconto la mia morte). Von Jankovich schrieb weitere Bücher und wurde zu einem gesuchten Referenten für spirituelle Themen. Am 23. Januar 2002 ist er in Zürich gestorben.

Die Illustrationen sind dem Artikel über den Kongress von 1988 in Camerino entnommen.

 

 

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