Das Pflegeheim

Da ich nun angesichts meines bevorstehenden 66. Geburtstags in Rente geschickt wurde, kann ich auf eine fünfjährige Tätigkeit in einem Pflegeheim zurückblicken. Ich war als Animateur zwar nur ein kleines Rädchen im Betrieb, habe ich aber nützlich machen können und bin überaus beliebt gewesen. Darum ein kleines Fazit.

002Ich werde nichts über unser kleines Pflegeheim in Sulzburg schreiben, das am Rand des Südschwarzwalds liegt und 35 Bewohnerinnen und Bewohner hat. Nein, ich werde mich allgemein über das Heim für alte Menschen verbreiten.

In Deutschland gibt es 4 Millionen pflegebedürftige Menschen. Von diesen leben knapp 800.000 in den 11.000 Pflegeheimen unseres Landes, und 3,2 Millionen werden zu Hause gepflegt, vom Sozialdienst oder von Angehörigen. Auf einen Menschen im Heim kommen also 4, die in den eigenen vier Wänden blieben.

Früher, sagte mir die betagte Mutter meines Winzers, habe es auf dem Land in jedem Haus einen bettlägerigen Menschen gegeben. Man pflegte die Alten daheim. Manchmal aber geht das nicht mehr. Dann erhebt sich die Frage: Geben wir die Oma ins Pflegeheim? Abschreckend sind natürlich die hohen Kosten (auch wenn die »Polin«, die zu Hause wohnt, kaum für weniger zu haben ist). 4000 Euro pro Monat kostet das Heim für einen Bewohner. Meist zahlt die Pflegeversicherung 2000, und für 2000 muss man selber aufkommen. Die exakten Summen hängen vom Pflegegrad ab.

Ich habe selber einmal nachgerechnet. Nehmen wir die 35 Bewohner unseres Heims. Im Frühdienst (bis 14 Uhr) sollten es 6 Mitarbeiter sein, im Spätdienst mindestens 4, und dann braucht man noch einen Nachtdienst. Die 11 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind insgesamt 100 Stunden beschäftigt, und rechnen wir mit 12 Euro pro Stunde, dann macht das am Tag 1200 Euro. Wir brauchen aber noch 4 in der Küche und 2 Reinigungskräfte, zusätzlich die Chefs, vergessen wir die nicht, und so kommen wir mit Sozialabgaben sicher auf 3000 Euro am Tag. Dann versteht man, dass Rundum-Pflege pro Bewohner 100 Euro am Tag und 3000 im Monat kosten kann. Nehmen wir Wäsche und Essen und Miete des Zimmers dazu, dann erscheinen 4000 im Monat nicht mehr astronomisch.

Dafür geht im Grunde alles drauf, was ein Mensch im Laufe seines Lebens verdient hat. Gut und richtig ist das nicht.In Baden-Württemberg kann ein Dritttel der Bewohner für dasHeim finanziell nicht aufkommen und braaucht staatliche Hilfe. Es ist ja eigentlich eine unheimliche Masse Geldes da, doch die Politiker bevorzugen die Autobauer und die Rüstungsindustrie, die Medien, die Banken und die Beamten. Und dann gab man sich dem Liberalismus hin und überantwortete Post und Bahn, Krankenhäuser und Pflegeheime dem freien Markt. Investoren pumpten Geld in Projekte, erwarteten dafür aber Rendite. Der Druck wurde auch die Chefs weitergegeben, die sparen mussten.

Viele Pflegekräfte waren überlastet und stiegen aus. 1,4 Millionen Menschen pflegen die 4 Millionen Kranken. In den Heimen fehlen 140.000 Fachkräfte und wer weiß wie viele Pflegehelfer. Die ersten Pflegeheime müssen schon schließen, weil kein Personal zu haben ist. Wir brauchen Helfer aus anderen Ländern, die dann eben nicht mit den Bewohnerinnen plaudern können, weil es ihnen an Sprachkenntnissen fehlt.

Eine repräsentative Studie der Deutschen Stiftung Patientenschutz ergab kürzlich, dass 89 Prozent nicht in ein Pflegeheim wollen. Wenn’s gar nicht anders ginge als ins Heim, würden 30 Prozent sogar einen assistierten Suizid vorziehen. Das ist erschreckend. Warum haben die Heime nur so ein schlechtes Image?

SDC10701Ich verstehe das nicht, sage ich nach meinen fünf Jahren im Pflegeheim. In den eigenen vier Wänden ist es ja schön, aber, wie es ein Heimleiter einmal ausdrückte: »Zu Hause kann man auch vereinsamen.« Im Heim kommt man mit anderen zusammen, isst gemeinsam, man wird sorgsam gepflegt, und wir Alltagsbegleiter tun unser Möglichstes, für Kurzweil zu sorgen. Auch Freundschaften können im Heim entstehen. Wer mit anderen Menschen zusammen ist, kann auch im hohen Alter noch schöne Erfahrungen machen.

Im Grunde war für mich jeder Tag anders und voller Überraschungen. Es war eigentlich die beste Arbeit, die ich je gemacht habe.

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Ich wurde verabschiedet. Das war vorgestern. Alle waren gerührt, alle wünschten mir Glück. Ich wurde beschenkt. Als ich am Abend wieder zu Hause war, dachte ich mir: so viel Liebe. Das kommt dem gleich, was unsere Zeugen von der anderen Welt berichten: der weißen Wolke, dem Licht, der unendlichen Liebe; du wirst geliebt für das, was du bist. Wie habe ich je an mir zweifeln können? Alles ist gut.

Freilich, solch ein Abschied nach fünf Jahren, in denen die Arbeit Freude gemacht hat, ist ein symbolischer Tod und ähnelt einer Nahtod-Erfahrung. Du hast dich in dieser Liebe gebadet, jedoch: Du musst zurück und weitermachen, immer besser werden. Vielleicht eine Hymne zum Abschied und einem Neubeginn? Wir haben von ihr gehört, sie greift uns ans Herz. 64 Millionen Abrufe.

 

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