Berge und der Frühling im alten Japan

Die Naturverbundenheit der Japaner ist bekannt, und sie führte in der Frühzeit — etwa vom 8. bis zum 13. Jahrhundert — zu  einer Reihe von Gedichten, die auch in den Jahrhunderten danach hätten entstehen können, weil die Natur zeitlos ist und zyklisch. Erscheinungen der Natur riefen ein Gefühl wach und den Wunsch, es in ein Gedicht zu bringen. Bereits 2014 hatte ich japanische Gedichte für den Frühling verwendet.

In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts schrieb die Dame Otomo no Sakanoe.

DSCN2926Dort in Karitaka
Der Berg Takamoto
Ist er so hoch,
Dass der Mond, der sich zeigt,
Erst so spät uns beleuchtet?

O Frühlingsregen,
Fall nicht so stark!
Die Kirschblüten —
Ich habe sie noch nicht gesehen.
Wenn du sie wegwäschst, wie schade wärst!

Otomo no Yakamochi lebte von 718 bis 785.

017Durch die Berge,
Bedeckt von Kissen aus Frühlingsnebel
Sind wir getrennt.
Ohne Euch zu treffen, meine Geliebte,
Sind Monate vergangen.

Noch ein anonymes Gedicht (wie die vorstehenden aus dem Band Anthologie der klassischen japanischen Dichtung).

Der Mond? Er ist nicht mehr derselbe.
Der Frühling? Er ist nicht mehr
der Frühling von früher.
Nur ich
Bin unverändert.

Die anderen hatte ich 2014 schon verwendet. Darum noch zwei chinesische Gedichte über die Berge. Das erste ist aus einer späteren Epoche, von zirka 1500. Weng T. Ming schrieb (nachgedichtet von Max Rohrer):

Dang Tse Li sprach — und es ist sicher wahr:
Ein jeder Tag ist wie ein kleines Jahr —
810Und jede Stunde Bergeinsamkeit
ist Ewigkeit.

Ich zieh zur Höhe, eh der Sommer naht,
Wenn dunkles Grün umgürtet meinen Pfad
Und jeder Baum rundum auf Weg und Kleid
Mit Blüten schneit.

Li-Tai-Pe lebte von 699 bis 762. Er war ein ewiger Wanderer und dichtete:

IMG_3834Fragt mich einer, warum
in den bläulichen Bergen ich hause,
nun, so lächle ich froh,
aber ich sage kein Wort.
Blüten treiben das Wasser hinab
in dämmernde Fernen:
Anders ist hier die Welt,
ist nicht der menschliche Raum.

(Die letzten beiden Gedichte sind dem Büchlein Bergpoesie entnommen, das der Pinguin-Verlag in Innsbruck 1981 herausbrachte.)

 

 

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