Das grüne Fahrrad

Vor 6 Jahren hatte manipogo Das Mädchen auf dem blauen Fahrrad, und heute kommt ein Mädchen auf einem grünen hinzu. Ein Film erzählt davon, den man kennen hätte können, weil er schon 2012 erschien. Es war der erste ganz in Saudi-Arabien gedrehte  abendfüllende Kinofilm (!), hieß Wadjda (nach dem Namen des Mädchens), und gedreht hat ihn Haifaa al-Mansur.

Wadjda_Poster-low-resDie 10-jährige Wadjda (ausgesprochen: Wadschda) geht spazieren, als in einer wunderschönen Einstellung ein grünes, gut verpacktes Fahrrad oben auf der Kante eines Hauses entlangfährt. Es befindet sich natürlich auf der Ladefläche eines Lastwagens, der gerade auf der Straße hinter dem Haus unterwegs ist. Wadjda sieht atemlos zu, ist augenblicklich verliebt und rennt dem Wagen nach, der das Rad bei einem Händler abliefert. 800 Rial soll es kosten, und immer wieder geht Wadjda vorbei und berührt das Mountain-Bike mit dem grünen Rahmen und sagt dem Besitzer, er solle es bloß nicht an jemand anderen verkaufen. — Schauen wir uns dazu den Trailer an.

Eine weitere schöne Szene: Wadjda geht mit ihrem gleichaltrigen Freund Abdullah herum (sie sollten sich dabei nicht erwischen lassen, die beiden sind ja nicht blutsverwandt!), und er schwärmt:

Nach dem Tod als Märtyrer hat man im Paradies — bumm! — siebzig Frauen!
Wadjda: »Ach, bumm: siebzig Fahrräder!« 

Weniger schön, dass die (gutaussehende) Mutter erklärt, Radfahren sei nicht so toll, das dürften Frauen nicht, außerdem könnten sie da keine Kinder mehr kriegen. Diese Desinformation boten so um 1870 bei uns auch Ärzte herum: Radfahren mache Frauen unfruchtbar. Dafür gab es keine Belege, es war eine Aktion der Männerwelt, um Frauen weiter schön am Herd zu belassen. Doch um 1900 wagten es Amerikanerinnen und Schweizerinnen, sich auf dem Rad und auf der Straße zu zeigen. (Ich fand nur einen Artikel über Russland.)

CIMG0578Wadjda verkauft selbstgestrickte Armbänder, lässt sich hier und dort für kleine Arbeiten bezahlen, aber es kann nie und nimmer reichen. Also entschließt sich das Mädchen, bei einem Koran-Wettbewerb ihrer Schule mitzutun, bei dem 1000 Rial zu gewinnen wären. Auf dem Dach ihres Hauses übt es schon mal mit dem Fahrrad ihres Schulfreundes. (Das grüne im Bild rechts oben steht in dem Dorf Grißheim am Rhein.) Sein Vater ist fortgegangen, weil Wadjdas Mutter ihm noch keinen männlichen Erben schenken konnte, die Schulleiterin ist streng, ja geradezu despotisch, und die Mädchen müssen sich schwarz verschleiern. Man erlebt eine repressive, ultrareligiöse und misogyne (frauenfeindliche) Gesellschaft im Orient im 21. Jahrhundert, in der es kaum weltliche Literatur und selten Unterhaltungsfilme gibt.

Fatema Mernissi, die bekannte Autorin, hat einmal darauf hingewiesen, dass nirgends im Koran steht, dass Frauen verschleiert gehen oder ins Haus verbannt werden müssten; das sei alles durch Mullahs so interpretiert worden, um die männliche Macht zum Ausdruck zu bringen. — Wadjda kommt dennoch zu ihrem Rad und ist überglücklich, soviel darf verraten werden.

Der Film entstand in Zusammenarbeit mit Deutschland. Haifaa al-Mansur wurde 1974 in Saudi-Arabien geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Manama in Bahrain. Waad Mohammed, ihre Wadjda, wurde am 9. Mai 1999 geboren.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.