Lob des Schattens (2)

Nach der Reise zum weißen See und der kristallinen Klarheit rundherum nun das Gegenprogramm: der Lob des Schattens. Das ist ein Buch, das Tanizaki Jun’ichiro 1931 schrieb, und es hebt die Vorlieben der Japaner hervor, die sich von denen der Europäer unterscheiden: lieber Dämmerlicht als strahlendes Weiß. Aber das ist lange her, und die Welt schaut bald überall gleich aus. 

Ich habe etwas für Japan übrig, doch vielleicht ist das, was ich mag, ein altes, idealisiertes Japan. Auch ich bin kein Freund greller Lichter und übertriebener Klarheit; mir gefällt die Unklarheit und das abendliche Kerzenlicht besser. Einmal hat manipogo ja das Lob der Dunkelheit gesungen, im November 2021, und soeben fand ich einen von zwei Sprüchen von Bertolt Brecht, der von einem chinesischen Autor stammen könnte, so einfach ist er:

II
Traue nicht deinen Augen
Traue deinen Ohren nicht
Du siehst Dunkel
Vielleicht ist es Licht.  

tanizakiTanizaki Jun’ichiro wurde 1886 geboren und starb 1965. Er veröffentlichte 119 Werke und war für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch. Immer wieder hat er sich ästhetischen Fragen zugewandt. In Lob des Schattens schreckt er nicht davor zurück, sich über den Abort zu verbreiten. Früher lag die Toilette meist außerhalb des Hauptgebäudes, was »das Hingehen während der Nacht erschwert«. Dennoch:

In der Tat, es gibt keinen geeigneteren Ort, um das Zirpen der Insekten, den Gesang der Vögel, eine Mondnacht, überhaupt die vergängliche Schönheit der Dinge zu jeder Jahreszeit auf sich wirken zu lassen, und vermutlich sind die alten Haiku-Dichter ebenda auf zahllose Motive gestoßen.

Die neueren Badezimmer (sagen wir  elegant) Europas sind weiß. Tanizaki, der sein Bad mit einem Waschbecken aus Holz ausstattete, zweifelte.

Gewiss, da von Ecke zu Ecke alles in reinstem Weiß überblickt werden kann, herrscht ohne Zweifel Sauberkeit, aber die Frage sei erlaubt: Muss man sich wirklich in diesem Ausmaß um einen Ort kümmern, der die Ausscheidungen des Körpers aufnehmen soll? … Es macht sich besser, solche Orte in ein verschwommenes Halblicht zu tauchen und den Grenzbereich, von dem an es sauber oder weniger sauber wird, im Unklaren zu lassen.

01806vDas ist eine östliche Einstellung, die der Autor entschieden, aber auch diplomatisch vertritt.

Man kann nicht sagen, dass wir ganz allgemein glänzende Dinge ablehnen, doch einem seichten, hellen Glanz ziehen wir ein vertieftes, umwölktes Schimmern vor. … Während die Abendländer den Schmutz radikal aufzudecken und zu entfernen trachten, konservieren ihn die Ostasiaten sorgfältig und ästhetisieren ihn, so wie er ist … 

Lackmalereien wirkten im Dunkeln, schreibt Tanizaki. In die Wandnischen von Teehäusern, die mit mattweißem Papier ausgekleidet sind, dringt kein Sonnenstrahl, und dennoch entstehe eine »sinnverwirrende Atmosphäre«, in der sich Helle und Dunkelheit nicht auseinanderhalten lassen.

Der Autor stellt auch die provozierende Frage in den Raum, ob die vermeintlich objektiven Erkenntnisse der westlichen Wissenschaft (Quantenphysik, Elektromagnetismus) anders aussehen würden, hätten sie als erste Japaner erforscht. Und vielleicht ist das jenseitige Licht, das Wärme und unendliche Liebe spendet, bei den Japanern etwas »gedimmt«?

Die bessergestellten japanischen Frauen früherer Zeiten existierten »nur vom Kragen aufwärts«, erwähnt Tanizaki.

Damals gingen Frauen der höheren Stände höchst selten aus, und wenn sie es taten, dann versteckten sie sich im Innern ihrer Wagen oder Sänften, damit ja niemand von der Straße her sie zu Gesicht bekam. Meist aber weilten sie in einem Zimmer ihrer düsteren Residenzen hinter Vorhängen und vergruben ihren Körper Tag und Nacht in der Dunkelheit …

Bis 1890 schwärzten sich die japanischen Frauen auch ihre Zähne!

Tanizaki Jun’ichiro erinnerte sich an ein »unvergessliches Dunkel«: Es war ein weiter Raum, nur von einem schwachen Leuchter erhellt.

Gerade als ich den Raum betrat, hatte eine Dienerin im reiferen Alter, mit abrasierten Brauen und geschwärzten Zähnen, einen Leuchter vor einen mächtigen Wandschirm hingestellt und setzte sich würdevoll zurecht. Hinter diesem Wandschirm aber … hing eine hohe, dichte, monochrome Dunkelheit, gleichsam als wäre sie im Begriff, von der Decke herabzufallen.

 

 

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