Johann Heinrich Jung-Stilling

Der Augenarzt und spätere Professor Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) legte 1808 seine okkulte Schrift Theorie der Geister-Kunde vor. Der beliebte Gelehrte, der zu seinen Freunden Goethe und Herder zählte, war Anfang des 19. Jahrhunderts der meistgelesene religiöse Schriftsteller in Deutschland. Geister interessierten ihn.

330px-HeinrichJung-StillingNur ein paar Episoden und Erläuterungen aus der Theorie der Geister-Kunde. (Der Autor, jung, rechts im Bild.) Es geht um prophetische und präkognitive Träume, um das »Anmelden« Sterbender sowie um das Selbstsehen. Volker Hofmann über die Geister-Kunde:

Die 1808 erschienene okkultistische Schrift bezeugt, dass während des ganzen 18. Jh.s trotz der Kritik von Seiten vieler Aufklärer eine starke okkultistische Strömung lebendig, oft sogar eng mit aufklärerischen Gedanken verquickt war. Sie wirkte in der Romantik fort, die sie weiterentwickelte und potenzierte, wie sie das auch mit dem ihr zugefallenen rationalen Erbe tat.

Die Literaturwissenschaft kennt ja nur Bewegungen und Strömungen; wir aber wollen den Inhalt, die Qualität, die der Wissenschaft egal ist. Jung-Stilling stand als Pietist auf dem Grund der christlichen Lehre und schrieb, um seine Mitgläubigen zufriedenzustellen:

Die mehreren Geistererscheinungen, wo nicht gar Alle, sind Abweichungen von der göttlichen Ordnung, folglich auch sündlich. Wir wollen und dürfen keine wünschen, vielweniger veranlassen. Das Schicksal unserer lieben Abgeschiedenen soll uns ein Geheimnis bleiben, und eben so auch die Maximen der göttlichen Regierung nach denen sie jenseits verfährt. Was uns die Bibel, und die ungesuchten Erfahrungen davon haben kund werden lassen, und was uns noch ferner ohne vorwitziges Forschen kund wird, damit wollen wir uns begnügen lassen, bis wir hinüber sind. (in § 197)

Ja, Kontakt zu Geistern verboten die Christen. Interessant aber das Beispiel von Saul.

Nun eine Anmeldung eines Sterbenden (§198). August II. wurde auch August der Starke genannt (im Bild links):

August_the_Strong_of_SaxonyKönig Friedrich Wilhelm I. von Preußen, Vater Königs Friedrichs des II-ten, stand mit dem König August dem II-ten von Polen in so freundschaftlichen Verhältnissen, dass sie einander, wenns möglich war, wenigstens einmal des Jahres sahen. Dies geschah auch noch kurz vor dem Tode des Letzteren; derselbe schien sich damals recht wohl zu befinden, nur hatte er eine etwas bedenkliche Entzündung an einer Zähe. Die Ärzte hatten Ihn daher für jeden Übermaaß in starken Getränken sehr gewarnt, und der König von Preußen, welcher dies wuste, befahl seinem Feldmarschall von Grumbkow …, dass er bei jenem Abschiedsmahle, alles sorgfältig vermeiden möchte, was …

Das ist alles sehr umständlich und gewissenhaft beschrieben (damals lebte man auch langsamer), darum beschleunigen wir die Episode. Grumbkow (im Bild unten rechts) soll verhindern, dass August zuviel trinkt; aber August hat Lust auf Champagner, und wer würde einem König widersprechen? Zumal von Grumbkow auch gern Champagner trank … Leider trank er zuviel und stürzte beim Heimweg über eine Deichsel, brach sich eine Rippe. Im Tragestuhl wurde er am andern Morgen zu König August gebracht, der ihm noch ein paar Botschaften überreichte und entschwand. Es geht weiter:

Hiebey war der König von Polen ausser einem vorn geöffneten Hemd, nur mit einem kurzen Polnischen Pelz bekleidet. 
In eben diesem Aufzug, nur mit geschlossenen Augen, erschien er am 1sten Februar 1733 früh, ungefähr um 3 Uhr dem Feldmarschall von Grumbkow und sagte zu ihm:

»Mon cher Grumbkow! je viens de mourir ce moment à Varsovie.«
(Mein lieber Grumbkow! Ich bin eben in Warschau gestorben.)

330px-WP_Friedrich_Wilhelm_von_GrumbkowGrumbkow … hatte unmittelbar zuvor, bey dem Schein seiner Nachtlampe, und durch seine dünne Bettvorhänge, bemerkt, dass sich die Thüre seines Vorzimmers , worin sein Kammerdiener schlief, öfne, dass eine lange menschliche Gestalt herein komme, in langsam feyerlichem Schritt herein komme, um sein Bett herumgehe, und seine Bettvorhänge schnell öfne. Nun stand die Gestalt Königs Augusts gerade so, wie Letzterer nur wenige Tage vorher lebendig vor ihm gestanden war, vor dem erstaunten Grumbkow, und ging dann, nachdem er obige Worte gesprochen hatte, wieder zu eben der Thür hinaus …

Der Kammerdiener hatte auf Befragen natürlich nichts gesehen. Grumbkow schreibt rasch ein »Billet«, einen Brief also, und ließ ihn gleich zum königlichen Hoflager schicken, zum Gesandten von Seckendorf. Schon um 5 Uhr früh kam es an! (Respekt! Vermutlich mit dem Pferd, aber auch der Fahrradkurier könnte das.) Dessen Sekretär sagt, er müsse das Schreiben noch heute Seiner Majestät zeigen.

Nach 40 Stunden kam die Nachricht in Berlin an (570 km: auch mit dem Fahrrad zu schaffen, am besten mit vier Fahrern, die sich abwechseln wie beim Staffellauf),

dass der König von Polen in der nähmlichen Stunde da Grumbkow jene Erscheinung gehabt hatte, zu Warschau gestorben sey.

Solche Geschichten gibt es zu Hunderten. Der Sterbende denkt vielleicht an einen ihm lieben Menschen, und unbewusst schickt er seinen Astralkörper dorthin (oder eine Kopie). — Jung-Stilling als echter Forscher dachte darüber nach:

001Bei solchen Erscheinungen muss man sich nicht vorstellen, dass die Seele des Königs, von Warschau nach Crossen hätte reisen müssen — wer meine Grundsätze, die ich gleich im Anfang des Werks aufgestellt habe, hinlänglich gefasst hat, der wird sich erinnern, dass die Menschenseele in ihrem Körper … alles in Raum und Zeit empfindet, so bald sie aber aus dem Körper geschieden ist, so hört das was wir Raum, Körper, Ausdehnung u. s. w. nennen, auf.

Und noch ein schöner, erhebender Auszug (§ 204):

Dass unsere verstorbenen Lieben uns immer nahe sind, auf welcher Stuffe der Seelig- oder Unseeligkeit sie sich auch befinden mögen, ist wohl gewiss: denn da es eigentlich keinen Raum giebt, weil dieser nur in unserer Vorstellung besteht, so ist die abgeschiedene Seele da, wo das ist was sie liebt. Aber deswegen empfinden sie uns so wenig, als wir sie empfinden, was sie von uns wissen, das erfahren sie von den Seelen die eben verschieden sind, und dann auch aus den Anstalten, die in Ansehung unserer im Geisterreich gemacht werden. Wenn nun ein Geist merkt, dass einer noch lebenden ihr sehr lieben Person, etwas merkwürdiges oder gefährliches bevorsteht, so sehnt sie sich es ihr bekannt zu machen; die Mittel dazu sind aber dort so schwer als es uns hier schwer fällt, mit Geistern in Rapport zu kommen, und vielliecht auch eben so der Ordnung Gottes zuwider.

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