Beichtandacht

Für den 30. fehlte ein Beitrag, bemerkte ich hier oben, als ich hinunterblickte auf die Stadt Camerino, die gerade ihren Heiligen feierte, den Venantius, der dortselbst im Jahr 250 starb. Einen weiteren Beitrag übers Katholische schieben wir noch ein, dann lassen wir es bis November. Im Dom zu Cremona fotografierte ich zwei Beichtstühle.

20230522_122014Anscheinend gibt es die Ohrenbeichte seit 700 oder 800. Auf den beiden Monstren im Dom steht vorn Penitenzia (also: Buße). Der oder die Beichtende kniet sich nieder und spricht auf die Trennwand hin, hinter der ein Priester ein gnädiges offenes Ohr hat. Der Unsichtbare in der Dunkelheit ist ein Abgesandter Gottes und hat das Recht, in dessen Namen Sünden zu vergeben, gegen ein oder zwei Gebete. Mein altes Kirchenbuch von 1938 rät, bescheiden in den Beichtstuhl zu treten und zu sprechen: »Segnen Sie mich, hochwürdiger Vater, denn ich habe gesündigt.« Dann:

»Jetzt bekenne aufrichtig, einfältig und reumütig deine Sünden.«

Der »hochwürdige Vater« sagte früher:

»Misereátur tui omnipotens Deus, et dimissis peccátis tuis, perdúcat te ad vitam aeternam. Amen.«

Dann erhob er die Rechte und betete:

»Indulgéntiam, absolutionem, et remissiónem peccatórum tuórum tribuat tibi omnipotens, et miséricors Dóminus. Amen.«

20230522_122211Das klingt wie von einem fremden Stamm in Afrika: Was der Ethnologe entdeckte. Wir sind in den 1960-er Jahren noch im Schatten von Pfarrer und Kaplan schulisch gebildet worden, und Kaplan fragte am Montag immer, ob wir Sonntag in der Kirche waren. Vor der Beichte hatte man Angst, aber man musste durch und fühlte sich großartig danach. Das hielt aber nur 2 bis 3 Tage an, bis man sich schon wieder schuldig gemacht hatte, und das wiederholte sich dauernd und fand kein Ende. Es war natürlich nur lächerlicher Kleinkram, doch er machte, dass wir uns als kleine verdreckte Sünderlein fühlten.

Doch es tut gut, etwas zu bekennen, wenn es einem auf der Seele liegt. Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt man, geteilte Freude ist doppelte Freude. Wir taten dies früher im Beichtstuhl, aber heute nicht mehr. Ich glaube, in Gesellschaften Asiens mit einer gewissen Schamkultur ist es normal, sich hinzustellen und öffentlich zu gestehen, dass man gefehlt hat. Diese Veranstaltung würde im Westen im Gerichtssaal stattfinden, wo man jemanden durch Beweisdruck zu einem Geständnis veranlassen kann. Danach, nach dem Bekenntnis und verbüßter Strafe, sollte er ein neues Leben anfangen dürfen, aber natürlich ist sein Ruf ruiniert.

Hier ist der Richter die Instanz; seine Stimme ist die Stimme des Staates. Der Polizist ist der Arm des Gesetzes, der Priester das Ohr und die Stimme Gottes. Wessen Ohr und Stimme ist die Psychotherapeutin? Vielleicht die deines Selbst, das zersplittert oder nur vage vorhanden ist und vielleicht erst entstehen soll, jedenfalls ebenfalls etwas schwer zu Beweisendes wie Gott oder der Staat.

Auch sie ist kein persönlicher Mensch, sondern eine Instanz, und auch sie (oder er) hält sich etwas abseits, sitzt entweder hinter der Couch, auf der der Patient liegt, oder in einem gewissen Abstand.

In der Psychotherapie kommt es zu Übertragungen, und der Psychiater muss sich soweit im Griff haben, dass er seine Gegenübertragung kontrolliert. Wer angeschrien wird, auf den wird Wut übertragen, und es wäre natürlich, zurückzuschreien (die Gegenübertragung). Doch das ist nicht professionell und führt nicht weiter.

Die Trennwand im Beichtstuhl wurde schon früh eingeführt, um Berührungen zu verhindern. Wir Menschen gehören zusammen und sollen zusammen sein, doch zu nahe auch wieder nicht. Man weiß nie, was dabei herauskommt.

 

 

 

 

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