Was man so glaubt

Was man so glaubt: nichts. Wenn ich auf Reisen bin, weise ich, wenn ich über mich spreche, gleich auf meinen Blog hin, weil er mir wichtig ist. Dann beeilen sich die meisten zu erklären, sie glaubten an nichts; oder sie glaubten, dass mit dem Tod alles vorbei sei. Ich gebe mich damit zufrieden, freue mich aber auch, wenn ein Gespräch zustandekommt. 

20230529_162551Wie das am 24. Mai erwähnte, in dem Ostello in Cassio mitten in den Bergen. Vermutlich ist es so, dass meine bloße Anwesenheit dazu reizt, übers Paranormale zu sprechen, das uns ja alle interessiert. Da saß ich also beim spärlichen Abendessen mit drei jüngeren Männern als ich (Leute um Mitte 50): Diego, Dario und Roberto. Da kann man sich ruhig zurücklehnen, denn bei zwei temperamentvollen Italienern (von dreien) kommt man nicht mehr zu Wort.

Diego glaubte an einen Schöpfer, aber sonst an nichts. In den 56 Jahren seines Lebens habe er sich nicht ein einziges Mal an einen Traum erinnert. Wenn eine Episode erwähnt wurde, sagte er immerzu »un caso« (also: reiner Zufall), oder er sagte: »il cervello« (das Gehirn). Er frage sich, wozu eine Inkarnation diene, wenn man sich doch nicht an frühere Leben erinnere. (Nun, wir wissen nicht, was wir noch lernen müssen; überhaupt: Was wissen wir schon?)

Und dann fragte Diego mich noch, wozu das Jenseits diene? Ich erwiderte, die armen Toten wollten irgendwo leben und uns helfen … aber sagen hätte ich sollen: Wir denken immer, alles auf dieser Welt solle uns zu Diensten sein. Und wenn nun jemand frage: Wozu dient eigentlich Diego? Wozu sind wir eigentlich hier (wie immer Luisa fragt)?

Roberto kannte Fallträume und ansonsten die Arbeit der italienischen Skeptikergruppen. Sie hätten übrigens bewiesen, dass die Wünschelrute Quatsch sei — worauf Diego entgegnete, genau daran glaube er, und Dario hatte damit auch Erfahrung.

20230522_154241Dario erzählte dann, er sei eines Tages in die Kathedrale Notre Dame de Paris eingetreten, habe sich gesetzt — und das untrügliche Gefühl gehabt, seine verstorbene Mutter sitze neben ihm. Diego gab ihm natürlich zu verstehen: il cervello! Da kennen sie kein Pardon, die Skeptiker!

Eine gute Bekannte erfuhr, dass ein Cousin auf der Intensivstation lag, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, und plötzlich strich ihre Katze um ihre Beine und blieb bei ihr die ganze Nacht, was sie sonst nie getan hatte, Klar, Tiere spüren eine Bedrückung, aber es war natürlich eine Koinzidenz. Alle sind sie so naturwissenschaftlich infiziert, dass eine passende Erklärung sofort auf ihren Lippen ist.

Man lebt mit seinem Weltbild. Es gerät nur durch Erlebnisse ins Wanken, die diesem widersprechen. Vielen gelingt es aber auch dann, das Geschehene auszublenden, damit sie gemütlich atheistisch weiterleben können. Es ist vielleicht ja auch eine Pose, die des abgeklärten Nihilisten, der alles kennt und keine Illusionen mehr hat.

Ich habe auf dieser Reise nichts Paranormales erlebt. Allerdings traf ich auf drei Menschen, die mich stark an Personen meiner Vergangenheit erinnerten, als rage da eine Parallelwelt in die unsrige herein. Und du bist kaputt, es fängt zu regnen an am Abend um halb sieben — und da rechts ist dieses Ostello mit offener Tür in einem Dorf in den Bergen, in dem 50 Menschen leben, und die Tür steht offen … Und du suchst den letzten Campingplatz vor Viareggio, ein Holländer hält an und du darfst ihm folgen bis zu seinem Campingplatz.

Ein österreichisches Radlerpaar aus Innsbruck meinte auch, zwei, drei Mal bange man, doch dann lerne man Verrtrauen. Es findet sich eine Lösung in letzter Sekunde. Vielleicht braucht man Gottvertrauen, um eine solche Tour zu unternehmen. Theorien helfen auch nicht unbedingt. Man redet sich auch viel Falsches ein.

Kurz vor Montepulciano rasten viele Autos an mir vorbei, ich war irritiert, und der Anstieg war zu hart. Ich schob mein Rad und ärgerte mich. Warum hatte ich soviel Gepäck mitgenommen? So viele Anstiege seit Siena! Ich sagte mir: »Diese Hügel haben dich plattgemacht. Jetzt kannst du nicht mehr. Vielleicht musst du in dem Agristurismo da vorn einkehren. Ende des Tages.«

20230526_171945Ich hielt an und ging noch ein paar Meter. Noch ein Anstieg! Ich drehte mich resigniert um, und mein Blick fiel auf ein Schild: 17,5 Prozent über 1,5 Kilometer. Da hatte ich geschoben. 17 Prozent! Das ist auch mit dem Rennrad schwer. Manchmal hilft ein Faktum aus der Außenwelt, dich wieder geradezurücken. Die Erschöpfung war normal. Die Frau des Agriturismo sagte: noch der letzte Anstieg, dann geht es links hinunter zum Trasimenischen See. Es fehlten noch 30 Kilometer, und ich hatte wieder Kraft. Radfahren ist zu 70 Prozent eine Sache des Kopfes, du brauchst Motivation, dann kannst du alles aus dir herausholen. Und welche Kräfte man entwickelt! Es ist fast paranormal.

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