Mappamondo, 1350

An der Wand im Camposanto von Pisa hängt der berühmte Mappamondo von 1350, der aber nur ein bleicher Kreis ist. Doch durch ein paar Sätze fängt die Abbildung plötzlich zu sprechen an und bekommt Bedeutung. Meine Sätze gehen an euch, ihr lenkt sie auf das Bild, das etwas zurückspiegelt − sich selbst. 

Ich wusste ja, dass Hans Leisegang in seinem Buch Die Gnosis (1924) den Mappamondo erwähnt und auch abgebildet hatte. Entstanden ist das Fresko um 1350, zugeschrieben wird es Pietro di Puccio d’Orvieto. Wir sehen es hier noch einmal. Natürlich beträgt seine Höhe die ganze Höhe des Umgangs, etwa 6 Meter.

 

Leisegang schreibt, der außerweltliche Gott halte die Welt und die Sphären in seinen Händen. Es ist eine gnostische Darstellung, denn die Gnostiker sahen den wahren, guten Gott außerhalb der Welt, die andere erschaffen hatten, die Demiurgen, weshalb die Welt auch nicht gut sei. Sie müsse von Dunkelheit befreit werden. Der gestorbene Menschen muss alle Kreise durchqueren, alle Kleider abwerfen, um dann nackt und unschuldig vor Gott zu erscheinen.  

Im Zentrum des Bildes liegt die Erdkugel mit den drei Erdteilen Asien, Europa und Afrika. Mehr kannte man um 1350 nicht, Amerika wurde erst 142 Jahre später entdeckt. Wann Australien? Ich musste nachschauen, warum spricht keiner von der Entdeckung Australiens? Weil es viele Seeleute gab, die verschiedene Küstenteile dieses sechstgrössten Landes der Erde kartierten. Der Kontinent war so groß, dass alle nur ein Stück erblicken konnten. Im Jahr 1606 waren die ersten der Holländer  Willem Jansz sowie Luiz Váez de Torres, der Portugiese gewesen sein konnte.        

Die Weltkugel wird umschlossen von Kreisen für Wasser, Luft und Feuer, und die Namen stehen drin, aqua, aria, ignis. Als nächstes die Kreise für die Planeten: Sonne und Mond sind Gesichter (können wir nicht sehen). Dann etwa der fünfte Kreis um die Kugel: Das ist der Fixsternhimmel, breit und hell, »geteilt in zwölf Abschnitte durch die Zeichen des Tierkreises, zwischen die zahlreiche Sterne eingezeichnet sind« (Liesegang). »Der nun folgende Kreis ist der Kristallhimmel, der das irdische Weltall gegen die überhimmlische Welt abschließt, das Empyreum.« Das ist der dunkle Kreis um den hellen. 

Nach außen hin folgen nun bis zum Rand neun Kreise von Engeln, was den drei Triaden von Geistwesen entspricht: – Engel, Erzengel, Fürsten; – Gewalten, Mächte, Herrschaften; – Throne, Cherubim, Seraphim. Bei Dante Alighieri, in der Göttlichen Komödie von 1300, liegt das Empyreum ganz außen und schließt die neun Engelkreise ein. Dante war kein gnostischer, eher ein christlicher Autor. Bei ihm gehört der Unbewegte Beweger, die Erste Ursache noch zur Welt; bei den Gnostikern war der echte, liebende Gott weit entfernt. 

Dann können wir auch das Gedicht lesen, das unter dem Mappamondo steht und auf deutsch so lautet (Die Gnosis, München 1985, S. 17/18):  

Die Ihr dies Werk der Kunst beschaut,
Seht hier den höchsten Schöpfer schweben,
Der allen Dingen Maß und Ziel gegeben,
Und mit der Liebe alles rings betaut.   

Neun Kreise sind’s der englischen Natur,
Im Empyreum hängt der Himmel Glanz.
Er selbst verharrt, bewegt das Andre ganz,
Geläutert sein ist seine große Spur. 
 

Erhebt die Augen vor der eignen Welt,
Seht hier Gesetz und Ordnung sondergleichen,
Das All gefügt in festgestemmten Speichen,
Lobt den, der alles dies zusammenhält.  

Einst sollt auch ihr zu Liebeskräften steigen,
Zu Engeln, zu der höchsten Seligkeit.
Das Jenseits breitet seine Ewigkeit
In Tiefe, Mitte bis zum höchsten Reigen.

 

  

 

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